Heiliges Feuer
Ihnen aufs Wort, Miss America«, sagte Bozhena mit ätzender Ironie.
Maya rieb sich die geröteten Augen. »Also gut, machen wir uns doch nicht gegenseitig das Leben schwer«, sagte sie. »Ich werde mir jetzt einen Weg durch das Gewühl Ihrer Kunden bahnen und dem alten magnetischen Trackerset einen Lebensfunken entlocken. Und wir tun beide so, als wäre nichts passiert. Okay?«
Bozhena schwieg. Sie zog sich wieder hinter die Theke zurück.
Die Angst und das Adrenalin hatten Maya unbesiegbar gemacht. Irgendwo fand sie Brille und Handschuhe. Auf einmal musste sie daran denken, dass Leute, die mit Brille und Handschuhen zugange waren, niemals gestört wurden. Die Brille und die Handschuhe würden sie unsichtbar machen.
Sie schaffte es, das uralte Gerät in Gang zu bringen, und gab die Passgeste ein. Dabei kam es ihr so vor, als beschwöre sie den Erinnerungspalast mit bloßer Willenskraft herauf.
Das schon vertraute Architektenbüro tauchte um sie herum auf und bedeckte die einen Handbreit vor ihren feuchten Augäpfeln befindlichen Displays. Jemand hatte sich an der Tafel zu schaffen gemacht. Neben dem lockigen Kilroy-Gesicht und dem grünlichen Schriftzug MAYA WAS HERE stand nun in Druckbuchstaben MAYA, HIER DRÜCKEN. Darunter befand sich ein mit bunter Kreide gemalter Knopf.
Nach kurzem Überlegen drückte Maya auf den bunten Knopf auf der Tafel. Die Handschuhe machten einen soliden Eindruck, doch nichts geschah.
Sie ließ den Blick durchs virtuelle Büro schweifen. Es wimmelte von Geckos. Überall waren Reparaturgeckos bei der Arbeit, manche so groß wie Brotlaibe, während andere wie Ameisen umherwimmelten. Der kaputte Tisch war verschwunden. Die Pflanzen im Garten waren diesmal besser gerendert. Sie wirkten fast natürlich.
Einer der Sessel erlitt eine plötzliche Identitätskrise und verwandelte sich mittels Morphing in Benedetta. Die virtuelle Benedetta trug ein schwarzes Cocktailkleid und eine kurze pinkfarbene Jacke mit schwarzem Besatz. Sie hatte die unnatürlich langen Beine einer Modezeichnung; die Absätze ihrer Schuhe waren unglaublich hoch. Das Gesicht wies eine große Ähnlichkeit mit Benedetta auf, bloß das Haar war schlecht geraten. Virtuelles Haar wirkte fast immer unnatürlich, entweder wie aus Gummi oder wie eine hyperaktive Subroutine der Medusa. Benedetta hatte sich bedauerlicherweise für eine bohemienhafte Medusa-Variante entschieden, was die Übertragungskapazität beinahe überforderte. Als sie eine rasche Bewegung vollführte, löste sich die Frisur teilweise auf.
Das virtuelle Model bewegte lautlos die Lippen. »Ciao, Maya.«
Maya entdeckte an der Brille ein herabhängendes Kabel und steckte sich das Ende ins Ohr. »Ciao, Benedetta.«
Benedetta vollführte einen kleinen Knicks. »Bist du überrascht?«
»Ich bin ein wenig enttäuscht«, sagte Maya. »Wird meine Stimme ordentlich übertragen?«
»Ja, ich verstehe dich gut.«
»Ich hätte nie geglaubt, dass du meine Passgeste stehlen und mein Vertrauen missbrauchen würdest. Wirklich, Benedetta, das war kindisch von dir.«
»Ich wollte dir nicht schaden«, erklärte Benedetta zerknirscht. »Ich wollte die Palastarchitektur und die historischen Details bewundern. Und die wundervollen veralteten Programmcodes.«
»Schon klar, Schätzchen. Und hast du die Pornos entdeckt?«
»Ja, natürlich habe ich die Pornos gefunden. Aber ich habe ein kleines Problem, und deshalb« - Bendetta deutete auf die Tafel - »habe ich dir den Rufknopf hinterlassen. Ein kleines Problem mit dem Palast.«
»Ja, das haben wir wohl.«
»Irgendetwas geht hier vor. Irgendetwas lebt hier.«
»Etwas, das du in Gang gesetzt hast, oder etwas, das schon da war?«
»Das kann ich dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht. Ich habe versucht, es herauszufinden, doch es ist mir nicht gelungen. Den anderen auch nicht.«
»Ich verstehe. Und wie viele ›andere‹ hast du hier hereingelassen?«
»Maya, dieser alte Palast ist riesig. Wundervoll geräumig. Es gibt hier eine Menge Platz. Niemand hat ihn benutzt, und es ist toll, dass es hier keine Netzpolizisten gibt. Bitte sei nicht eifersüchtig. Glaub mir, du hättest uns bestimmt nicht bemerkt. Wenn dieses kleine Problem nicht gewesen wäre.«
»Das sind keine guten Neuigkeiten.«
»Aber es gibt gute Neuigkeiten. In dem Palast ist Geld versteckt. Hast du das gewusst? Richtiges Geld! Beglaubigtes Alte-Leute-Geld!«
»Wunderbar. Und habt ihr mir Geld übrig gelassen?«
»Hör mal, ich möchte so gern mit dir
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