Heimat Mars: Roman (German Edition)
befand sich eine offene Schleuse mit rot blinkendem Warnlicht, die den Blick auf den dunkelbraunen Himmel und vereinzelte, sich im Licht der Dämmerung rötende Wolken freigab. Wir traten auf eine Brüstung, die sich zwanzig Meter über der rötlichbraunen Oberfläche befand und Aussicht auf Many Hills und das den Ort umgebende Schiaparelli-Becken bot. Glattgeschliffene Lava mit schmierigen Einsprengseln erstreckte sich kilometerweit in alle Richtungen. Die Atmosphäre war kalt und reglos, das Schweigen unergründlich. Wir hatten die Funkgeräte unserer Schutzanzüge nicht eingeschaltet, da wir befürchteten, die Aufmerksamkeit von Attentätern auf uns zu ziehen. Raumschiffe der Erde würden uns über Tausende von Kilometern hinweg orten und mit uns anstellen können, was immer sie wollten.
Ich hob verdutzt die Arme und fragte mich, was ich zu sehen bekommen sollte. Fast zufällig richtete ich den Blick nach Westen und sah Phobos, der vor einer Stunde aufgegangen war und in vier Stunden im Osten untergehen würde. Ich blickte über ihn hinaus und spürte, wie sich mein Hals versteifte und mir Tränen in die Augen schossen. Der Furcht {18} einflößende Hund.
Charles hatte gesagt, er müsse einem Mann einen Besuch abstatten. Es gehe um einen Furcht einflößenden Hund. Ich wusste nicht, was Charles vorhatte. Aber in mir gewann ein aberwitziger Wunsch, eine wilde Spekulation die Oberhand, und die Wunschvorstellung wurde zur Überzeugung. Es passte alles zusammen. Die Mercury konnte sie dort hinbringen, samt Ausrüstung und Denkern, und Charles war genau der stille Typ des Größenwahnsinnigen, der sich so etwas ausdenken und Ti Sandra klammheimlich vorschlagen konnte. Ich wollte etwas sagen, aber merkte, dass mich niemand hören würde. Also deutete ich auf den Mond. Ich zog Lieh an meine Seite, so dass sich unsere Helme berührten, und brüllte praktisch das Shakespeare-Zitat: » Schrei Vernichtung, und lass die Kriegshunde los ! Furcht! Furcht und Schrecken, die Kriegshunde! Schau auf Phobos! Mein Gott, Lieh! Es wird’s tun! Er wird’s tun!«
Sie wich zurück und kniff ihre mandelförmigen Augen beunruhigt zusammen, als hätte ich den Verstand verloren. Ich lachte und weinte in der Gewissheit, dass ich Bescheid wusste und man diese schreckliche Bürde auf irgendeine Weise bald von meinen Schultern nehmen würde. Dandy legte seinen Helm an meinen und fragte besorgt: »Stimmt etwas nicht, Frau Präsidentin?«
Ich packte ihn bei den Schultern und drehte ihn so, dass er nach Westen blickte, auf den vertrauten Mond, den wir seit unserer Geburt schon so oft hatten aufgehen sehen. Phobos, der grässliche Hund, der Hund Furcht, der den Kriegsgott begleitete und trotz seines grässlichen Namens so harmlos und unschuldig wirkte. Der kleine Phobos, von Meteoriteneinschlägen und früherem Abbau seiner Bodenschätze zernarbt. Phobos, der den Mars alle sieben Stunden und vierzig Minuten im Abstand von sechstausend Kilometern umrundete. Der schnelle und uns ganz nahe Hund Phobos, der von seinem Gefährten Schrecken begleitet wurde.
Lieh, Dandy und ich blickten jetzt gemeinsam nach Westen. Der Architekt blieb im Schatten. Er wollte sich nicht irgend etwas aussetzen, das uns offensichtlich in den Wahnsinn getrieben hatte. Phobos, der sich strahlend hell und voll vor dem dunklen, sternenübersäten Himmel abzeichnete, verschwand jetzt hinter dem niedrigen Schleier einer Eiswolke. In der Wolke verwandelte er sich gespenstisch, schimmerte auf und trat dann wie ein Kristall aus der Wolke hervor, schärfer und deutlicher, als ich ihn je erblickt hatte. Ich konzentrierte meine ganze Willenskraft auf Phobos, als könne ich Charles damit helfen – als habe sich in dieser Ausnahmesituation eine psychische Verbindung zwischen uns allen hergestellt und jeder von uns wisse, was der andere tat und dachte. Mein Wille dehnte sich aus, bis er den Mond berührte, und ich war vor schrecklicher Sehnsucht halb von Sinnen.
Phobos war nicht mehr zu sehen. Es gab keine Wolken davor, und keinen verdunkelnden Staub. Das tiefgrau schimmernde, uns umkreisende Gestein war einfach verschwunden.
Aus meiner Sehnsucht wurde Offenbarung. Dandy und Lieh suchten verständnislos den Himmel ab. Sie wussten nicht, was ich wusste.
Lieh drehte sich mit vor Angst geweiteten Augen zu mir um. Sie und Dandy berührten mich gleichzeitig mit ihren Helmen. »Haben sie ihn gesprengt?«, fragte Dandy.
»Nein«, schluchzte ich. »Nein. Sie haben der Erde gezeigt, was
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