Heimat Mars: Roman (German Edition)
bleibt keine Zeit«, antwortete ich.
Keine Zeit. Kein Abstand. Keine Chance.
SIEBTER TEIL
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D AS J AHR N ULL DES N EUEN M ARS
Mars in Bewegung
D IE ENDGÜLTIGE K RISE WAR DA . So klar wie in einer marsianischen Nacht sah ich, dass die Erde zu der Ansicht kommen würde, sie habe keine andere Wahl, als die wachsenden Bedrohungen aus der Welt zu schaffen und die neue Technik unter ihre totale Kontrolle zu bringen. Alles, was die Erde an Fortschritt, Therapie und verfeinerter Lebensart besaß, würde aus Angst vor unserer Macht und unberechenbaren Aktionen wie eine Seifenblase zerplatzen.
Nach unserer Abreise aus Lal Quila schickte ich vom Shuttle aus eine S.O.S.-Nachricht an Ti Sandra und gab auch Auftakt eine Vorwarnung. Ti Sandra antwortete, sie werde sich sofort mit ihrem ganzen Stab und den Beratern in Many Hills zusammensetzen, um unsere Handlungsmöglichkeiten zu erörtern.
»Die Büchse der Pandora ist weit offen, und sie wird sich auch nicht mehr schließen«, sagte sie. »Cassie, nichts, was wir tun können, ist so wirksam wie Auftakt. Richte Charles aus, dass ich ihn vielleicht bald brauche und er sich bereithalten soll.«
Ihr unendlich müdes Gesicht ist mir in all den Jahren klar und deutlich vor Augen gewesen: das Gesicht gerechter und fürsorglicher Autorität in tödlicher Bedrängnis. Dieses Gesicht, das mit der Ti Sandra unserer ersten Bekanntschaft so wenig gemein hat – einer Ti Sandra, die ich lieben lernte –, hat mich all die Jahre verfolgt. Und verfolgt mich immer noch.
Der Denker, der das Shuttle steuerte, flog es mit stetig dröhnenden Motoren über das Kaibab-Plateau. Die zwei Stunden, die wir im Schwebeflug über dem Mars verbrachten, kamen mir endlos lang vor. Ich starrte durchs Fenster, ohne irgend etwas zu sehen, und empfand das, was eine Mutter wohl für ein todkrankes Kind empfinden mochte.
»Was weißt du über das Bündnis der Bündnisse?«, fragte ich Aelita Zwei.
»Der Name hat mich völlig verblüfft«, antwortete der Denker. »Wir haben keine Unterlagen darüber.«
Also waren Point One und Lieh mit all ihren Spionen im Netz und all ihren Nachforschungen nicht bis zur höchsten Ebene vorgedrungen. Inwieweit konnte ich mich auf Crown Nigers Aussagen stützen? Hatte man auch ihn hinters Licht geführt? Oder war das Bündnis der Bündnisse nichts anderes als ein vielköpfiger, durch Denker unterstützter Popanz, der die Erde regierte und sich über alle Volksabstimmungen hinwegsetzen konnte?
Wer immer in letzter Instanz die gegen den Mars verbündeten Mächte steuern mochte: Mit zwei nicht vertrauenswürdigen Spielern, die jetzt oder in naher Zukunft potentiell tödliche Gewalt gegen uns anwenden würden, konnte es keine Verhandlungen geben. Man würde uns keinen Krieg aufzwingen, der ja trotz allem gewisse Regeln und Grenzen berücksichtigte, sondern ein nacktes, panisches Gemetzel.
Dandy Breaker sah mich über den Gang hinweg an und beugte sich in den Gurten herüber. »Wir stecken in echten Schwierigkeiten, nicht wahr?«
»Es scheint so.«
»Wegen etwas, das Cailetet getan hat?«
»Ja. Nein. Wir alle greifen nach dem Rettungsring. Auch wir haben Fehler gemacht.«
»Als wir Phobos versetzt haben«, sagte Dandy.
Mir fiel ein, wie begeistert ich über den plötzlichen Umschwung gewesen war. Selbst jetzt noch beschleunigte sich mein Puls beim Gedanken an so viel Macht. Eine Macht, die mir meine Bürde so schnell abgenommen und mir erlaubt hatte, es Sean Dickinson mit doppelter Münze heimzuzahlen. Wir alle sind noch Kinder. Wir tanzen immer noch nach der Pfeife unserer tiefsten Instinkte. »Sie haben uns gezwungen, das zu tun. Aber die Erde kann uns jetzt nicht mehr trauen als einem Skorpion unter ihrem Bett«, sagte ich.
Dandy schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich hab noch nie einen lebenden Skorpion gesehen.«
Weitere verschlüsselte Meldungen gingen im Netz der Regierung ein. Neben Auftakt hatte es noch viele weitere Pläne gegeben, nur hatten wir uns stärker auf die Olympier konzentriert. Jetzt prüfte man die Alternativen: die Verteidigung der einzelnen Siedlungen gegen Heuschrecken, den Zusammenschluss benachbarter Siedlungen für den Verteidigungsfall, weiteres Durchforsten aller automatischen Systeme …
Dreißig Minuten vor unserer Ankunft bei Auftakt sprach ich mit Charles, der im Labor war. Er hörte mit angespanntem, blassem Gesicht zu, während ich die Ereignisse in Lal Qila schilderte und die Nachricht der Präsidentin weitergab.
»Man
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