Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Geschlechtsverkehr gibt, blühen auch die meisten Romanzen eher im Geheimen. Liebende reden oft nicht viel. Sie machen stattdessen kleine, aber bedeutsame Gesten. Diese kleinen Signale der Körpersprache werden von den Ethnologen leicht übersehen und von den Mitgliedern der Kultur selbst oft nicht bewusst wahrgenommen. Sie sind aber ein wichtiger Ausgangspunkt.
Eine andere Methode setzt auf die Sprache. Ethnologen sammeln Ausdrücke über romantische Liebe. Sie finden verbreitet Redewendungen wie »Glut«, »Schmetterlinge im Bauch« oder »klopfendes Herz«. Sie suchen dazu auch Liebesgedichte, Liebeslieder und Liebesmetaphern. Auch hier ergeben sich aber Probleme. Wie kann man die Worte einer völlig fremden Sprache punktgenau in eine westliche Sprache übersetzen, noch dazu, wenn es um poetische oder metaphorische Wendungen geht? Entsprechungen 1:1 gibt es da nicht. Für viele Sprachen existieren keine Wörterbücher. Da hilft nur die Absicherung über den Kontext. Wenn wir Liebende verstehen wollen, ist es wichtig, sich mit ihren Liebesgeschichten zu befassen. Genau das tun Ethnologen heute. So sammelte Helen Harris bei den Mangaia nicht nur Wörter und Redensarten zur Liebe. Sie führte 90 Interviews und sammelte 60 intime Lebens- und Liebesgeschichten ihrer Gesprächspartner.
Die Wirklichkeit, die dabei zutage kommt, hat wenig mit dem Klischee vom sexbesessenen Wilden zu tun. Auch in anderen Pazifikkulturen gibt es nicht nur Fast Sex, sondern langfristige Liebesbeziehungen, romantische Gefühle und ausgefeilte Liebeslyrik. Auf den Trobriand-Inseln schreiben junge Männer ihrer Angehimmelten kleine Briefchen. Bei den Dobu-Insulanern spielt man der Liebsten mit einer Harfe Liebeslieder vor. Die Eipo im Hochland von Neuguinea sind uns schon im Kapitel zu den »nackten Tatsachen« begegnet. Sie gehören zu den am besten erforschten Volksgruppen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden sie von einem Team von 35 Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen untersucht. Die Eipo laufen fast nackt herum, aber beim Geschlechtsverkehr sind sie – trotz Peniskalebassen – nicht übertrieben auf die Geschlechtsteile fixiert, sondern beziehen den ganzen Körper mit ein. Ihre Heiraten werden kaum von den Eltern bestimmt, es sind Liebesheiraten. Die Sprache weist zwar auch drastische erotische Bilder auf, aber Frauen wie auch Männer umgarnen ihre Angebeteten am liebsten mit Liebesgedichten. Eine Liebesliedsammlung aus dem 19. Jahrhundert verzeichnet auch einen Text der Makassar aus Sulawesi. Darin heißt es: » Nur Träume, ja nur Träume sind meiner Liebe günstig! / In Träumen steh ich vor dir in Zwiegespräch mit dir! / Und daß es, wenn ich sterbe, nur ja nicht heißt: ich sei / Gestorben wie ein andrer, nein, nur aus Lieb zu dir!« Julia hätte das gefallen.
Alberne Verliebtheit
Kulturen müssen also nicht so komplex sein wie die mittelalterliche Adelsgesellschaft, um romantische Liebe hervorzubringen. Ebenso häufig kommt sie in »einfachen« Kulturen wie bei den Eipo vor. Jäger und Sammler leben in kleinen Gruppen, und jeder ist in etwa gleich reich oder arm. Bei ihnen ist die Partnerwahl oft frei. Von ihr hängt das Schicksal der Familie nicht so stark ab wie bei Kulturen, die in größeren Einheiten leben, geschichtet sind und weitreichende soziale Beziehungen unterhalten. Sind Großfamilien ein Liebeskiller? Das könnte erklären, warum romantische Liebe in Kulturen mittlerer Komplexität eine geringere Rolle spielt. In den beiden Gesellschaftstypen, wo sie stark ist, den ganz einfachen wie den sehr komplexen, sind Großfamilien selten.
Ethnologen kennen durchaus Kulturen, die romantische Liebe leugnen. Ein Beispiel sind Beduinen, die als Nomaden in Arabien leben. Ein anderes sind die Fulbe, Viehhirten in Kamerun in Westafrika. In beiden Gesellschaften werden die Emotionen ganz allgemein im Zaum gehalten. Selbstkontrolle ist angesagt. Entsprechend gibt es bei ihnen nur wenige Worte für starke Gefühle und keines für romantische Liebe. Wollte ein Angeklagter vor Gericht seine Emotionen als mildernden Umstand geltend machen, wäre er in diesen Kulturen schlecht beraten. Affekttäter werden hier härter bestraft!
Ethnologen spekulieren, ob die Meidung von Emotionen mit den Hierarchien zusammenhängt, die diesen Gesellschaften so wichtig sind. Starke Gefühle können das Herrschaftsgefüge aus dem Lot bringen, wenn die Leidenschaft für einen anderen Menschen mit dem geforderten Gehorsam in Konflikt
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