Heimat
und ist auch bereit, für diese Liebe zu arbeiten, ist bereit, seine Heimat zu schützen und zu verteidigen.« 176
Das Kleine, das Konkrete trat zunehmend in den Hintergrund in diesem Ideengespinst, das zwischen Heimat und Nation nicht klar unterschied und nun einen »sozialistischen Patriotismus« propagierte. Bis 1958 kamen die Vordenker der SED zu dem Schluss, dass Heimatliebe überhaupt nur im Sozialismus möglich sei. »Nur im Sozialismus kann der Mensch den natürlichen und sozialen Lebensbereichen im Interesse der Werktätigen wirklich humanistisch, schön gestalten.« 177
In diesem ideologischen Gebäude machten es sich die DDR-Oberen in den folgenden Jahrzehnten gemütlich und bestätigten sich bei Gelegenheit gegenseitig, wie einzigartig und schön alles sei. »Mit der sozialistischen Revolution eroberten sich die Werktätigen unseres Landes erstmalig in der langen, wechselvollen Geschichte des deutschen Volkes ihr eigenes Vaterland und konstituierten sich zur sozialistischen deutschen Nation«, schrieb Erich Honecker 1979 im Geleitwort zu dem Bändchen »Der Bürger und seine Heimatstadt«. »Die Deutsche Demokratische Republik ist ihre Heimstatt. Ihnen gehören die Fabriken, Landwirtschaftsbetriebe, Kulturstätten und Naturschönheiten. Sie arbeiten mit, planen mit, regieren mit. Die Ergebnisse der Arbeit kommen allen zu gute. Daher kann sich jeder Bürger mit seinem sozialistischen Vaterland uneingeschränkt identifizieren.« 178
Die DDR, ein Paradies der Werktätigen, die sich freudig um ihre weisen Anführer scharen - welch Gegensatz zum Land der »Großbourgeoisie und ihrer Ideologen«, die versuchen, sich des Heimatgedankens zu bemächtigen, wie sich Klaus Sorgenicht in einem weiteren Beitrag des Büchleins ereifert: »Sie bedienen sich seiner, um das Heimatgefühl der Menschen zu missbrauchen, ihnen eine illusionäre Gemeinschaft von Ausbeutern und Ausgebeuteten in ‚trauter Heimatidylle’ zu suggerieren.« 179 Unterstützt werden die Ausbeuter demnach von den »imperialistischen Massenmedien der BRD«, die den »bürgerlichen Nationalismus und eine diesen einschließende romantisch-idealistische Heimattümelei« predigen und dabei nur den Niedergang der kapitalistischen Städte und die Verschlechterung der Lebensbedingungen auf dem Land verschleiern. Wohl dem, der stattdessen im sozialistischen Vaterland Zuflucht findet: »Ein modernes sozialistisches Land mit einer leistungsfähigen sozialistischen Großindustrie und Landwirtschaft, mit einer entwickelten und sich weiter entwickelnden Wissenschaft, Bildung und Kultur, mit einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die den Interessen der Arbeiterklasse und des ganzen Volkes dient; ein Staat, in dem die Menschenrechte verwirklicht sind; ein Staat der wahren Menschlichkeit, eine echte Heimstatt all seiner Bürger.« 180
Es ist eine Selbstwahrnehmung, die Friedrich Schorlemmer viel später als »Wirklichkeitsallergie« identifizierte und an der die DDR
letztlich mit zugrunde ging: »Wenn zwischen dem, was jeder täglich sehen und erleben kann, und dem, was in der Zeitung (zumal im ‚Zentralorgan’) steht, nicht bloß eine Lücke, sondern ein Abgrund klafft, dann ist ein Staat so stabil wie ein Kartenhaus.« 181
Könnte man Heimatgefühl im Laboratorium brauen, die DDR hätte eigentlich optimale Voraussetzungen gehabt: eine kleine, überschaubare Einheit, straffe gesellschaftliche Strukturen von der Brigade im Betrieb bis zu den Massenorganisationen wie den jungen Pionieren und der FDJ, die mit Uniformen, Ritualen und Lagerfeuerromantik Gemeinschaftsgefühl stiften konnten. Dazu noch ein allgegenwärtiger Gegner, der den inneren Zusammenhalt durch äußere Bedrohung garantiert. Bis Ende der 70er-Jahre hatte sich die SED auch zähneknirschend eingestanden, dass lokale Bindungen im sozialistischen Staat nicht schaden können und »Sing mei Sachse sing« die Sache irgendwie gemütlicher macht.
Dass es trotzdem nicht reichte, zeigt der Exodus der 80er-Jahre, der zum Wendejahr 1989 hin immer mehr anschwoll. Bis zum Tag der Maueröffnung am 9. November hatten sich in dem Jahr bereits mehr als 225.000 Ostdeutsche in den Westen abgesetzt 182 - da half auch »diese innere Verbundenheit, ja Liebe des sozialistischen Staatsbürgers zu seiner Heimatstadt« nichts. 183 Die Heimat DDR, das kleine graue Land der Selbstbeschwörungen und Widersprüche, begann, sich zu entvölkern.
Und trotzdem ist im Nachhinein klar, dass die jahrzehntelange
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