Heimat
DDR hätten machen wollen und auch schon erste Erfolge gehabt hätten. »Das haben wir als sehr schmerzlich empfunden«, fügt seine Frau an. »Wir kannten uns ja selbst nicht mehr aus.«
Erst die umbenannten Straßen. Ausgerechnet die Wilhelm-Pieck-Straße mussten sie umtaufen. »Warum? Das war der erste Präsident der DDR«, erregt sich Ingeborg Christoph. »Da standen die Leute Tag und Nacht, als der starb, die hat da keiner hingetrieben, die gingen von selbst. Der hatte ja hohes Ansehen.« Und dann das Lenindenkmal. »Da habe ich gesagt: Lasst es doch stehen, lasst Efeu drum wachsen und das Gesicht rausschauen. Das wäre eine Touristenattraktion. Aber nein, es wurde geschleift. Das kostete Unsummen.«
Die promovierte Juristin fing als Justiziarin im Waschmittelkombinat Genthin an, später machte sie in Berlin Karriere. Als SED-Mitglied wurde sie 1970 in eine von Walter Ulbricht gewünschte Arbeitsgruppe berufen, die im Auftrag des Strategischen Arbeitskreises beim Politbüro Reformvorschläge ausarbeiten sollte. Das Konzept der Gruppe hochrangiger Staatsrechtler landete allerdings nach Ulbrichts Sturz im Mai 1971 im Papierkorb. Desungeachtet arbeitete Ingeborg Christoph später unter anderem im DDR-Bauministerium, in der Bauakademie und als Justiziarin der Akademie der Wissenschaften.
»Wir hatten eine eigene Antarktisstation der DDR«, erinnert sie sich. »Wir haben das Ozonloch mit entdeckt - das hat die DDR entdeckt. Natürlich werden diese Ergebnisse nie genannt.« 24 Institute hatte die Akademie, 22.000 Wissenschaftler. »Das haben sie alles tot gemacht. Was wir auch für internationale Kontakte hatten … Warum wurde das alles weggeschmissen?« Ihr Mann ist nicht minder empört. »Warum wird heute, wenn über die DDR gesprochen wird, kein Wort zu diesen Erfolgen gesagt?«
Karl-Heinz Christoph ist zum Beispiel fest überzeugt, dass die Gesetze der DDR handwerklich weit besser waren als die heutigen, zumal er mehr als 30 Jahre lang in »zentralen Organen der DDR« daran beteiligt war, wie er auf seiner Webseite schreibt. Die meiste Zeit erarbeitete der Jurist Vorlagen für den DDR-Ministerrat, im Frühjahr 1990 dann auch für den zentralen Runden Tisch, der in den wenigen Monaten seiner Amtszeit etliche Gesetze revidierte. »Das waren in der Tat befreiende Maßnahmen, die die DDR in kürzester Zeit schon weitestgehend in einen demokratischen Staat verwandelten«, meint Karl-Heinz Christoph. »Das war übrigens auch das, was die meisten wollten, das war eine ganz wichtige Entwicklung.« Auch wirtschaftliche Erfolge hätten sich schnell eingestellt. »Die DDR war nicht bankrott. Das war eine bösartige Behauptung.«
Bankrott oder nicht, das Ende ihres Staats zwang die beiden Juristen jedenfalls zu einem beruflichen Neuanfang. Beide, inzwischen selbst im Rentenalter, betreiben nun zusammen eine Rechtsanwaltskanzlei, die vor allem für ehemalige DDR-Bürger wider die Ungerechtigkeiten des Rentenüberleitungsgesetzes streitet. Mehrere Verfahren haben sie bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgefochten. Karl-Heinz Christoph macht vor allem schwache Gesetzgebung nach der Vereinigung für die vielen Rechtsstreitigkeiten verantwortlich. »Von den über 600 Bundestagsabgeordneten beherrscht fast keiner die Grundlagen der Gesetzgebung«, meint er. »Der Bundestag beschließt Gesetze, ohne dass die Abgeordneten überhaupt wissen, was sie beschließen.« Häufig sei es »Schwachsinn«, was da gemacht werde. »Das hält man eigentlich gar nicht aus - man muss schon Nerven haben.«
Die DDR im milden, gelblichen Licht der Erinnerung - das »Es war nicht alles schlecht« ist keineswegs nur ehemals staatstragenden SED-Kadern vorbehalten. In einer Emnid-Umfrage für die Bundesregierung vom Sommer 2009 bewerteten 57 Prozent der ostdeutschen Teilnehmer ihren untergegangenen Staat tendenziell positiv. 49 Prozent von ihnen sagten, die DDR habe »mehr gute als schlechte Seiten« gehabt; weitere acht Prozent sprachen sogar von »ganz überwiegend positiven Seiten«. Unter den westdeutschen Befragten bescheinigten der DDR dagegen insgesamt 78 Prozent »ganz überwiegend schlechte Seiten« oder doch zumindest »mehr schlechte als gute.« 193
Der Befund veranlasste den sichtlich irritierten damaligen Ostbeauftragten Wolfgang Tiefensee zu dem Appell, »dass wir in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht nachlassen dürfen«. In Internet-Foren lösten die Ergebnisse
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