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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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Vertraute in Windeseile unter den Füßen wegmutierte, kaum registriert worden - vor allem nicht bei denen, die in Baiersbronn oder Böblingen seit Jahrzehnten unbehelligt im vertrauten Umfeld vor sich hin leben.

3. »Das ist ein Verbrechen gewesen«: Das langsame Sterben des Palasts der Republik
    Sagt sie: »Also, ich muss Ihnen sagen, am meisten habe ich in letzter Zeit gelitten, als ich am Palast vorbeigekommen bin. Es war eine solche Sinnlosigkeit, das abzureißen. Millionen rauszuwerfen! Was konnten wir aus dem Gebäude machen! Was wäre das heute!«
    Und er: »Er ist ja angenommen worden.«
    Sie: »Ja, das war ja ein richtiges Volkshaus, es war ein Haus, wo jeder Zugang hatte. Und wir hatten das gut versiegelt, die modernste Firma der Welt aus Schweden hat das versiegelt. Als der Palast geschlossen wurde, war da nur ein Raum, der etwas höhere Asbestwerte hatte. Der konnte bei laufendem Betrieb saniert werden. Das hat man mit dem ICC später gemacht, diesem Ungetüm da.«
    Er: »Haben Sie den Palast mal kennen gelernt?«
    Ich: »Ich habe ihn nur von Außen gesehen.«
    Sie: »Also, da kamen Sie rein, die Treppe hoch, rechts und links Tausende Krokusse. Es waren drei Theater da drin. Wunderbare Technik. Wo ist die Technik geblieben? Die hat allein 14 Millionen DDR-Mark gekostet. Und dann gab es die Volkskammer, die hatte ihren eigenen Saal. Das war ja zehn Mal besser, als das, was wir da in Bonn gesehen haben.«
    Er: »Jeder Volkskammerabgeordnete hatte seinen festen Platz an
einem Tisch. Und für die Presse und so weiter, das war alles modernst eingerichtet.«
    Sie: »Und dann waren da noch fünf Restaurants, ganz verschiedene Arten.«
    Er: »Und eine Kegelbahn.«
    Sie: »Kann man sich das denn leisten, so was abzureißen? Das kann man doch in die Schulen stecken, das Geld.«
    Er: »Dieses Ensemble was da stand: Palast der Republik - ein Blickfang, man kann künstlerisch verschiedener Auffassung sein, aber bitte - dann das Staatsratsgebäude, was noch steht, und dann, an der anderen Seite, das Außenministerium. Das war schon ein attraktives Ensemble.«
    Sie: »Und das sollte weg, weil der Ku’damm ja das Zentrum ist. Wie waren wir enttäuscht über den Ku’damm. Wir haben gesagt: Das ist der Ku’damm? Du lieber Gott, was habt ihr geredet. Ich habe immer gesagt, der Ku’damm wäre doch heute schon zu 80 Prozent abgerissen, wenn er auf der DDR-Seite gestanden hätte.«
    Er: »Na jedenfalls: Es war ein ausgezeichnetes Ensemble, das für die nächsten Zigjahre noch hätte stehen können und genutzt werden können, was kostentreibend abgerissen wurde. Also, das ist ein Verbrechen gewesen.«
    Sie: »Das ist ein Verbrechen an der DDR.«
    Er: »Der Palast vermittelte für die DDR-Bürger in Berlin ein Heimatgefühl. Denn dort wurden die wichtigsten Veranstaltungen abgehalten. Nicht bloß die Parteitage, das kannste vergessen. Aber die anderen wichtigen Veranstaltungen. ‚Da lacht der Bär’, Tanzveranstaltungen, das war alles dort.«
    Sie: »Wir waren mal im ehemaligen Staatsratsgebäude, bei einer Veranstaltung, und da habe ich immer wieder aus dem Fenster geschaut, mit Blick auf den Palast. Ich war so deprimiert, ich sag: Mensch, lass uns gehen.«
    Er: »Wenn die Heimat zum Teil abgerissen wird, ist das eben ein Problem.«
    Sie: »Und so sinnlos, das finde ich schlimm.« 192

    Ingeborg und Karl-Heinz Christoph, ein freundliches älteres Ehepaar, sie im gelben Kleid, er mit Strickjacke überm offenen Hemdkragen. Geranien quellen aus den Blumenkästen ihres Hauses in Berlin-Karlshorst, wo noch die echten Oststraßenlaternen abends die
Welt in dieses gelbliche Ostlicht tauchen. Im Gärtchen hinterm Haus wartet eine stämmige Holzgarnitur auf den nächsten Grillabend. Oben unterm Dach haben die beiden in ihrem Wohnzimmer Kirschstreusel und Kaffee aufgetischt, ein frischer Hauch weht durch das offene Fenster an diesem Spätsommernachmittag.

    Sie haben schon vom Ännchen von Tharau erzählt und dem alten hölzernen Bauernhaus irgendwo jenseits von Königsberg, denn da stammt Ingeborg Christoph her. Und von Karl-Heinz Christophs Kindheit in Breslau. Doch erst jetzt branden die Emotionen richtig auf. »Der Fall der Mauer, das war der erste Enthauptungsschlag«, sagt er. Da hätten die Stalinisten ihre Ämter verloren - die, die es übertrieben hätten - und das sei ja eigentlich positiv gewesen. »1990, der Beitritt, das war dann der zweite Enthauptungsschlag« - das Ende jener, die »etwas Vernünftiges« aus der

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