Heimat
vielleicht wie ein Mainzer oder Erfurter, der sich bemüht, hochdeutsch zu sprechen. Aber Eljesa meint nicht so sehr die Sprache, sie meint die Kultur. »Zum Beispiel die Fragen bei ‚Wer wird Millionär?’, das ist manchmal schwierig«, versucht sie zu erklären. »Die Sprichwörter - ich kenne viele Sprichwörter, aber eben nicht alle. Viele stammen aus der Bibel.« Eljesa ist alevitische Muslima, ihr Mann ist Sunnit. Bei Bibelzitaten muss sie oft zweimal überlegen, was sie genau bedeuten sollen. »Es gibt etwas, was man nie ganz weiter geben können wird, so habe ich jedenfalls das Gefühl.«
Auch ihre Kinder haben diesen ganz, ganz entfernten Akzent. Aber ihre jüngere Tochter, jetzt in der zweiten Klasse, ist beim Lesen eine der Besten. Dass sie in der Schule als »Ausländer« zählen, als die, die die »Migrantenquote« hoch und deutsche Eltern in die Flucht treiben, wurmt Eljesa. »Für uns ist es problematisch, dass wir ‚Ausländer’ sind«, meint sie. »Wir wollen auch, dass unsere Kinder vorwärts kommen.« Neulich hat sie sich über zwei junge türkische Männer auf der Straße geärgert, diese jungen Breitschultrigen mit den Schlabberhosen und den teuren Turnschuhen. Eljesa teilt nicht die Ängste mancher Mitbürger, dass solche Jungs Böses im Schilde führen, sie hält sie schlicht für Machos. »Aber ich dachte: Mein Gott, was müssen die Deutschen von ihnen denken? Die denken bestimmt, das sind Banditen.«
Die Deutschen, wo und wie sind die überhaupt? In ihrer Schulzeit hatte Eljesa deutsche Freunde, aber zu allen ist der Kontakt abgerissen. Manchmal trifft sie sich noch mit einer ehemaligen Kollegin
aus dem Notariat. Und dann sind da noch einige deutsche Bekannte aus dem Kinderladen oder der Schule. Aber echte, richtige Freunde? »Wir kommen nicht zu einander, außer über die Kinder«, sagt Eljesa. Wenn jemand bei ihnen vorbeikommt, dann bitten sie ihn herein - zum Beispiel, wenn Eltern ihre Kinder nach einem Treffen mit ihren Töchtern abholen. »Wir laden sie ein, willst du einen Tee?« Aber die Deutschen sind immer so beschäftigt. Schnellschnell, ich muss los, wir verabreden uns mal - was dann doch irgendwie nicht passiert. »Die Kultur ist ganz anders«, sagt die junge Neudeutsche. »Es sind viele Sachen, viele Kleinigkeiten, wo wir ganz anders sind.« Auch auf der Straße, mal eben kurz Hallo und weitergehen, das ist befremdlich, ein kleiner Plausch muss schon drin sein. Auffällig findet sie an den Deutschen auch, dass sie immer sehr direkt seien. »Bei uns ist es so, man sagt es nicht richtig, aber man meint es schon.«
Die vielen Kleinigkeiten sind es, die Fremdheit ausmachen. Aber letztlich hat Eljesa nicht viel Zeit, darüber zu sinnieren. Der Job, die Kinder, ihr Mann, der versucht, sich ein eigenes Geschäft aufzubauen. »Ich stehe selbst auch ziemlich unter Druck.« Es ist schon fast wie bei »den Deutschen«, aber eben doch anders. Denn Eljesa muss sich auch um ihre Mutter kümmern, die Schwiegermutter, die Schwägerin, die Geschwister. »Wir haben schon viel mit Familie.« Regelmäßig am Wochenende kommen allerlei Verwandte in ihre kleine Wohnung zu Besuch. »Manchmal ist es eine Last, manchmal nicht. Ich packe jetzt alle zusammen und sage: Kommt alle am Samstag, dann ist es ein Abwasch. Früher habe ich mich unter Druck gesetzt, aber jetzt schaffe ich es, etwas lockerer zu sein.«
Drei ihrer fünf Geschwister wohnen noch bei den Eltern, zwei Brüder und eine Schwester, obwohl alle drei schon Ende 20, Anfang 30 sind. »So ist das, du kommst erst aus dem Haus, wenn du verheiratet bist«, sagt Eljesa - obwohl sie selbst das Gegenteil bewiesen hat: Sie zog schon vor ihrer Heirat mit Anfang 20 aus. Ihrer Schwester hat sie ebenfalls geraten, sich eine eigene Wohnung zu suchen. »Aber sie sagt, was werden meine Eltern sagen. Mein Vater wird Probleme machen. Und das stimmt auch: Es ist nicht so, dass er keine Probleme machen wird. Aber entweder man setzt das durch oder nicht. Es ist schwer.« Immerhin sei ihr Vater über die Jahre etwas nachsichtiger geworden. Als seine Töchter jünger waren, überwachte er sie mit
Argusaugen. »Damals hatten wir es wirklich schwer, was haben wir uns alles ausgedacht, damit wir überhaupt mal eine Stunde rauskommen konnten.«
Wenn ihre eigenen Töchter einmal Deutsche heiraten wollen, dann hätte sie kein Problem damit, meint Eljesa. Dann zögert sie einen Moment. »Also, ich denke, dass ich kein Problem damit hätte, ich glaube es
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