Heimat
ergonomisch eingerichtete Kinderküche, der noch nach frischem Verbundholz duftende Bewegungsraum, die hellen Farben und freundlichen Erzieherinnen. Kleine ist begeistert. »Ich glaube, wir brauchen uns nicht verstecken«, sagt er zufrieden. Sogar einen eigenen Rodelberg hat er für die Kinder aufschütten lassen, mit dem Aushub der Windkraftanlagen, die sich am Ortsrand drehen.
Kleine sieht auch die Lage in Staakow bei weitem nicht so dramatisch wie einige Bewohner. Ja, die Bevölkerung schwinde, wie überall
im Amt Unterspreewald, wie wahrscheinlich überall auf dem Land, es gebe nun mal seit Jahrzehnten die Abwanderung in die Städte. Aber dass solche kleinen Dörfchen irgendwann einfach zugemacht werden, geschlossen, abgerissen, nein, das hält Kleine für unmöglich. Immerhin liegt Staakow ganz in der Nähe der Autobahn und der Bahntrasse nach Berlin. Es gibt einen großen neuen Arbeitgeber, das malaysische Freizeitprojekt Tropical Islands in dem gigantischen ehemaligen Hangar der bankrotten Luftschifffirma Cargo Lifter. »Ganz ehrlich, ich kann nicht verstehen, warum über dieses Projekt derart kritisch berichtet wird«, meint Kleine. »Die haben 100 Millionen Euro eigenes Geld in das Projekt gesteckt und geben 500 Menschen hier in der Region Lohn und Brot.« Die Bedenken, dass es sich um eine »Energieschleuder« handelt, hält er für übertrieben, ebenso die Skepsis, ob die teure tropische Badelandschaft mitten auf dem platten Land in Brandenburg auf Dauer überleben kann. Die Sorge könne man sich sparen, solange es funktioniere. »Das ist wie bei Menschen, die geheiratet haben, und die anderen sagen: Wie soll das klappen? Wenn es zehn Jahre geklappt hat, dann ist das doch Beweis genug, und wenn es in die Brüche geht, dann hatte man zumindest zehn schöne Jahre.«
Kleine ist Überzeugungstäter. Der große Schlacks in Jeans, mit Schlips unterm Pullover ist beseelt vom Einsatz für die Region, in die er vor viereinhalb Jahren aus Westfalen kam. Es war eine Lebensentscheidung für den 37-jährigen Juristen. Noch hat er keine Kinder, aber wenn, dann nur in dieser ländlichen Umgebung. »Das Leben ist hier einfach besser, weil man seine Ruhe hat.« Die Tomaten, die noch nach Tomaten schmecken, die Kinder, die wissen, dass eine Kuh schwarz-weiß ist, die Nachbarschaft, in der sich alle kennen, die soziale Kontrolle. Als er einmal krank war, hat ihm seine Vermieterin Hühnersuppe gekocht. Daran freut er sich bis heute. »Mich werden nicht die Fliegen verraten, wenn ich einmal sterbe.«
Als Kronzeugin hat er sich seine Mitarbeiterin Sabine Englich mit dazu geholt, die seit 28 Jahren in Staakow lebt. Sie zog hin, als sie heiraten wollte und Wohnungen in der ganzen DDR knapp waren. In Staakow gab es eine für das junge Paar, das allerdings erst ein amtliches Eheversprechen ablegen musste. Nur kurz habe sie sich fremd gefühlt, sagt Englich. Die Staakower seien sofort auf sie zugekommen
und hätten sie gefragt, ob sie nicht mitmachen will im Dorfklub, der die jährliche Faschingsfeier und das Osterfeuer und das Dorffest und den Eierkuchenball organisiert. So sei das bis heute. »In Staakow ist das ein Zusammenhalt wie in einer Familie«, sagt sie. »Das ist nicht verloren gegangen.«
Die schmerzlichen Veränderungen sieht auch sie. Dass 1993 der Staakower Kindergarten zugemacht wurde, machte alles viel schwieriger. Auch die Gemeindeschwester, die häufig vor Ort für den Landarzt einsprang, gibt es nicht mehr. Ihr eigener Sohn ist wie viele andere junge Leute dem Job nachgezogen und ist inzwischen Beamter in den alten Bundesländern. Aber eines Tages wird er zurückkommen, wenn er sich versetzen lassen kann, da ist sich Sabine Englich sicher. »Unsere Kinder sind sehr anhänglich.« Einfach, weil das Dorfleben nicht mit der Stadt zu vergleichen sei, weil jeder für jeden einstehe. »Es ist ein Geben und Nehmen«, sagt sie. Ihr Chef sieht das ganz genauso. »Das sind Bindungen, die kriegt man nicht kaputt«, meint Amtsdirektor Kleine. »Und das ist der Grund, warum diese Dörfer nie aussterben werden.«
Edelgard Habicht ist da nicht so sicher. Die alte Dame ist offen und herzlich, sie kennt jeden und weiß alles über Staakow, so scheint es jedenfalls. Einmal die Woche trifft sie sich mit zwei alten Freundinnen zum Kaffeekränzchen, die Nachbarn passen aufeinander auf. Aber die meiste Zeit ist sie allein mit ihrem Wellensittich Piepsi, die beiden Töchter sind in Berlin und Königs Wusterhausen verheiratet.
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