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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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jedenfalls. Man sagt immer viel, und nachher - ich weiß es nicht.« Noch eine kleine Pause. »Also, ich denke, dass ich kein Problem damit hätte. Aber er müsste schon mal kommen und auch mal Gäste empfangen.«

    Inzwischen ist ihr Vater in Rente, ihre Mutter arbeitet noch, steuert aber ebenfalls auf die Pensionsgrenze zu. In der Türkei wartet immer noch das alte Häuschen der Familie. Eljesas Vater möchte eigentlich gerne zurückziehen, so wie sie es vor fast 40 Jahren einmal vorhatten. Schon jetzt verbringt er bis zu sechs Monate im Jahr in der alten Heimat. Aber seine Frau sträubt sich. »Meine Mutter möchte eigentlich nicht so lange bleiben«, weiß Eljesa. »Vielleicht, wenn wir dort wären, dann wären meine Eltern auch da.«

    Auch Eljesa hat für sich das letzte Hintertürchen noch nicht geschlossen. Die Option, in die Türkei zu ziehen, gibt es einfach, den Pass hat sie ja auch. »Wenn alle Stricke reißen, wenn was ist, wenn wir uns bedrängt fühlen, dann würden wir das schon tun.« Aber dann sagt sie noch einmal: »Die Türkei ist auch nicht meine Heimat. Wenn man mich fragt, wo ich am liebsten bin, dann in Deutschland. So gesehen ist das meine Heimat. Ich bin gerne in Berlin und ich denke, ich gehöre auch hierhin.« Nur ein bisschen grüner könnte es sein. »Ein Häuschen am Stadtrand, vielleicht 20 Minuten, eine halbe Stunde mit der S-Bahn, das wäre schön.« Es ist, dann doch, ein sehr deutscher Wunschtraum. 235

    Rund 15,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund registrierte das Statistische Bundesamt für das Jahr 2008 - rund 155.000 mehr als noch ein Jahr zuvor. Inzwischen werden 19 Prozent der
Menschen in Deutschland dieser Gruppe zugerechnet - jeder Fünfte in der Republik ein Wanderer zwischen den Welten. Die Definition, die das Amt zugrunde legt, zeigt allerdings auch die deutsche Besonderheit: Migration hört niemals auf, der »Hintergrund« vererbt sich, ein endgültiges, definitives, unumkehrbares Angekommensein ist nicht vorgesehen.

    Denn die Gruppe umfasst nicht nur diejenigen, »die seit jeher in der amtlichen Statistik mit Migration assoziiert werden wie zum Beispiel Ausländer, Eingebürgerte, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler oder Asylbewerber«. Es geht vielmehr um »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können«. 236

    Eingeschlossen sind die Kinder und Kindeskinder derjenigen, die sich einmal auf die große Reise machten, und zwar unabhängig davon, ob die eigentlichen Migranten rechtlich Deutsche sind oder nicht. Immerhin ein Drittel der »Menschen mit Migrationshintergrund« sind in Deutschland geboren. Von den 10,6 Millionen mit »eigener Migrationserfahrung« seit 1950 sind wiederum knapp die Hälfte - fünf Millionen - Deutsche. Allein 3,1 Millionen deutsche Spätaussiedler sind darunter. 237 Als Ausländer im rechtlichen Sinne wurden 7,3 Millionen Menschen registriert - 10.000 weniger als ein Jahr zuvor. Das sind 8,9 Prozent der Bevölkerung. »Deutsche mit Migrationshintergrund« gibt es deutlich mehr: 8,3 Millionen oder 10,1 Prozent der Bevölkerung. 238

    Der Zahlenwirrwarr zeigt vor allem eins: Migration gilt in Deutschland als problematisches Phänomen, das es genauestens zu erfassen gilt. Mit dieser Begründung beziehen die Statistiker zum Beispiel ausdrücklich die »Vertreter der 3. Generation« ein, die »nach wissenschaftlichen Studien aus allen klassischen Einwanderungsländern integrationspolitisch besonders ‚schwierig’« seien. 239 Nach Darstellung des Bundesamts unterscheidet sich die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund - trotz ihrer beachtlichen Vielfalt - insgesamt gravierend von der »ohne
Migrationshintergrund«: Sie sind deutlich jünger, weitaus häufiger ledig und häufiger männlich. »Ein fehlender allgemeiner Schulabschluss ist bei ihnen häufiger anzutreffen (14,2 Prozent gegenüber 1,8 Prozent), ebenso ein fehlender beruflicher Abschluss (44,3 Prozent gegenüber 19,9 Prozent)«, halten die Statistiker weiter fest. Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 25 bis 65 Jahren sind doppelt so häufig erwerbslos wie die übrigen Bewohner dieses Landes. 240 Außerdem weiß die Statistik noch, dass sie

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