Heimat
oder durch den Wolf drehen, und dann mit speziellen Gewürzen alles zusammen wieder in die Haut reinfüllen. Das wird drei Stunden gekocht und zwei Stunden gebacken, fünf Stunden insgesamt. Und, wie schmeckt es Ihnen?«
Es schmeckt köstlich, Slowfood Fish mit Rote-Bete-Meerrettich. Nur, dass die Todeskandidaten aus ihrem Glasgefängnis auf den Teller glotzen, macht die Sache ein bisschen unangenehm.
Feliks, ein muskulöser Mann um die 40 mit rosigem Gesicht und Gel im Haar, ist eigentlich Kfz-Mechaniker. Seine Frau Lilja, die hinten in der Küche klappert, ist Krankenschwester. Ein Feinkostgeschäft? Warum nicht. Immerhin läuft es schon fünf Jahre. Als die beiden 2001 als »jüdische Kontingentflüchtlinge« aus der Ukraine nach Deutschland kamen, versuchten sie es erstmal im eigenen Beruf. Aber Feliks konnte kein Wort Deutsch - bis auf »Heil« und »Hände hoch!« Das reichte in der Werkstatt nicht lange. »Wenn die mir gesagt haben, geh’ nach links, bin ich nach rechts oder umgekehrt«, sagt er, noch heute mit starkem Akzent und manchmal eigenwilligem Satzbau. »Das gab natürlich Stress.«
Lilja machte erstmal ein halbes Jahr Praktikum in der Klinik in Brandenburg an der Havel. Aber als es um die Festanstellung ging, schlug die Stunde der Bürokraten. Das ukrainische Schwestern-Diplom wollten sie nicht anerkennen, nach 18 Jahren Berufserfahrung sollte Lilja noch einmal eine dreijährige Ausbildung machen. Stattdessen fingen beide in einer Fleischfabrik in Berlin an, jeden Tag fuhren sie 220 Kilometer von Brandenburg in die Hauptstadt und zurück. Er schleppte Schweinehälften für Kassler und Filet. Sie machte in der Verwaltung die Bestellungen fertig. Das ging zwei Jahre gut,
dann übernahm der Juniorchef die Fabrik. »Der hat in London studiert« - Feliks lässt keinen Zweifel, was das heißt: ein unangenehmer Typ. Die Fahrerei ging den beiden auf die Nerven. Und dann hatte Feliks auch noch einen Bandscheibenvorfall.
In seinem Laden geht jetzt die Tür auf, ein Mann im langen Mantel beäugt das Kuchenbüffet. Rumkugeln und russischer Strudel, Blätterteigtorte mit Buttercreme, eine Schokoladenbombe mit Sahnefüllung - jedes Stück sieht aus, als wöge es eine Tonne und könnte eine Fußballmannschaft ernähren. Der Mann im Mantel plaudert mit Feliks auf Russisch und lächelt verschmitzt herüber. Keine Ahnung, was das bedeutet. Der Ladenbesitzer wiegt ihm den Kuchen ab, alles geht hier nach Gewicht. Noch einmal grinst der Kunde, zum Abschied.
Angefangen haben Feliks und Lilja mit polnischen Würsten. Die bezogen sie von ehemaligen polnischen Kollegen aus der Fleischfabrik, als sie den Laden in Berlin Charlottenburg gefunden hatten. »Das war nicht schlecht«, sagt er. Aber dann hatten die beiden das Gefühl, sie müssten mehr bieten. Immerhin gibt es um die Ecke einen polnischen Metzger, und der russische Supermarkt zwei Straßen weiter verkauft die Würste auch. Feliks und Lilja pinselten den Stuck in ihrem Laden golden, stellten ein paar Tischchen auf und spezialisierten sich auf Selbstgemachtes - die Torten, die Blini, die Pieroggen, russische Buletten und Hähnchenfilet Kiew, Bratwürste und Leberpastete und »Hering unterm Mantel«. Dazu eingelegte Tomaten, Gurken und Äpfel. Alles garantiert ohne Konservierungsstoffe, wie Feliks versichert. »In Deutschland gibt es viele Sachen, die gut aussehen, aber die können Sie nicht essen«, meint er. »Bei uns sieht es vielleicht nicht so gut aus, aber wenn Sie probieren, das schmeckt.«
Jetzt kommt der polnische Hausmeister von um die Ecke in den Laden, grüßt Feliks kurz und tappt, ganz selbstverständlich, ins Hinterzimmer, um sich einen Eiskratzer auszuborgen. Als nächstes schleppt eine blonde Kundin ihre schweren Einkaufstüten durch die Tür, ob sie die nicht für einen Moment hier lassen kann, sie kommt dann heute Nachmittag wieder vorbei? Feliks lächelt, kein Problem. Dann ist der Eiskratzer wieder da - das Eis auf der Straße ist viel zu hart zum Kratzen. Kaum ist der polnische Hausmeister gegangen, bringt die russische Apothekerin von
nebenan ein Kühlaggregat vorbei. »Bis halb vier muss das richtig kalt sein«, sagt sie. Feliks parkt es neben den Pelmeni in der Kühltruhe.
»Da sehen Sie schon, wer so alles kommt«, sagt er stolz.
Die Krise hat dem Laden zugesetzt, aber es reicht zum Leben. Besser als der Job in der Fleischfabrik ist es allemal. Mit den deutschen Kollegen dort gab es manchmal Stress, berichtet Feliks, reichlich
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