Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
Vom Netzwerk:
politisches Signal gesetzt, zu einem Zeitpunkt, als bereits erhitzt und mit negativem Einschlag über die vielen Fremden debattiert wurde. Bewirkt hat er allerdings wenig. Vor allem über die Familienzusammenführung wuchs die Zahl der Ausländer stetig weiter. 1979 startete der erste Ausländerbeauftragte Heinz Kühn den Versuch, die Zugewanderten auch als Eingewanderte zu begreifen, statt nur auf ihre Rückkehr in die alte Heimat zu setzen. Doch stand Kühn ziemlich allein. Stattdessen beschloss die sozial-liberale Koalition 1982 eine »Rückkehrförderung« für ehemalige Gastarbeiter, die die schwarz-gelbe Koalition im Jahr darauf umsetzte. Für etwa ein halbes Jahr gab es pro Familie 10.500 Mark plus 1.500 Mark pro Kind, die Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung wurden ausgezahlt. Allerdings nahmen Schätzungen zufolge nur 10.000 Rückkehrwillige das Angebot wahr. 260

    Der andere wichtige Kanal zur Zuwanderung, das Flüchtlingsund Asylrecht, bedeutete noch weit mehr rechtliche Unsicherheit für die Ankommenden. Vor allem hatten die Flüchtlinge kein Recht zu arbeiten, sondern waren auf Sozialhilfe angewiesen. Ihre Zahl wuchs dennoch ungebremst. 1980 meldeten sich 108.000 Asylbewerber in der Bundesrepublik 261 . Bis Anfang 1992 war der Höchststand von 438.000 Asylsuchenden erreicht. 262 Bei gleichzeitig rasant steigenden Spätaussiedlerzahlen entspann sich eine medienbeherrschende »Bootist-voll-Debatte«, die im August 1992 mit den ausländerfeindlichen Angriffen auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen ihren Höhepunkt erreichte. Die Regierung Helmut Kohl schränkte daraufhin im Konsens mit der SPD 1993 das Asylrecht im Grundgesetz drastisch ein. Die Zahl der Bewerber ging sofort zurück. 2008 lag sie bei nur noch 22.000. 263 Auch die Bedingungen für Spätaussiedler wurden 1993 verschärft, und auch hier sanken die Zahlen bald deutlich.

    Die deutsche Ausländerpolitik verstand sich also weitgehend als Begrenzungspolitik, während die gesellschaftliche Integration der hier lebenden Nichtdeutschen über Jahrzehnte nachrangig blieb. Vielmehr
wurden Hunderttausende durch einen unsicheren rechtlichen Status in langwierigen Asylverfahren oder in der Endstation »Duldung« im Schwebezustand gehalten.

    »Eine Problematik, die sie vor allem geprägt hat, war der versperrte Zugang zum Arbeitsmarkt«, sagt Sozialarbeiterin Andrea Schwendner, die seit Anfang der 80er-Jahre Flüchtlinge und Asylbewerber aus dem arabischen Raum betreut. »Das ist auch das Grundsätzliche, was sie von Arbeitsmigranten unterscheidet: Sie sind hineingewachsen in eine Situation, wo man versorgt wird - zwar auf einem niedrigen Niveau, aber das ist so.« Eine Mitgrations- oder Integrationspolitik im eigentlichen Sinne habe es nicht gegeben, meint die Expertin. »Man hat es einfach so geschehen lassen, denn es sollte nicht sein. Deshalb hat man nicht wirklich versucht, sich mit der Problematik konstruktiv auseinander zu setzen.« Erst seit 2005 seien auch für die arabischen Flüchtlinge und Asylbewerber Integrations- und Sprachkurse vorgesehen. 264

    Für Millionen ehemaliger Gastarbeiter kam der entscheidende Einschnitt 1992, als für Menschen aus Ländern der Europäischen Union praktisch alle Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen fielen. Italiener, Griechen oder Spanier, die mit ihren Oliven und Zucchini in den 60er-Jahren noch als Exoten in Deutschland auffielen und mit Vorurteilen kämpften, galten damit praktisch als eingemeindet - was die kulturelle Vereinnahmung von Pizza, Gyros und Sangria rechtlich nachvollzog. Ungeklärt blieben dagegen Status und Zukunft der außereuropäischen, meist muslimischen Zuwanderer. Diskriminierung und Feindseligkeit konzentrierten sich fortan auf die »richtig Fremden«.

    In der Nacht zum 23. November 1992 steckten Rechtsextremisten in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln mit Molotowcocktails zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in Brand und ermordeten drei Menschen. Ein halbes Jahr später, am 29. Mai 1993, töteten Neonazis bei einem weiteren Brandanschlag in Solingen fünf Menschen türkischer Abstammung. Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen - die Bilder immer neuer brennender Häuser und die anschließenden Lichterketten schockierter Bürger brachten vielleicht die entscheidende Wende der deutschen Ausländerpolitik hin zur Integration.

    Gleichwohl beschäftigte sich die Politik noch ein Jahrzehnt eher mit sich selbst als mit der Überwindung dieser tiefen

Weitere Kostenlose Bücher