Heimaturlaub
weniger deutlichen Flirt mit Männern, die offensichtlich zu allem bereit waren – eine Welt, die sie nur aus Filmen kannte und nie für wahr genommen hatte. Aber Wüllner hatte kein Auge dafür, und mehr gezogen als selbst gegangen, trat sie durch die kleine Tür in einen anderen, schmaleren, aber langen Raum, der in blendendes, weißes Licht gehüllt war und an dessen Seiten sich kleine Weinlauben entlangzogen, aufgebaut aus Naturholz mit künstlichem Weingerank, gezimmerten Tischen und Stühlen – ein Grinzing-Ersatz, gut gemeint, aber ungemein kitschig für ein künstlerisches Auge.
Ein Kellner im Frack trat sofort hinzu und führte die Neuankömmlinge in eine freie Laube, nahm die Bestellung einer Weinnummer entgegen, obwohl es doch nur einen Einheitswein gab, und fügte in einem geheimnisvollen Flüsterton hinzu: »Wir haben heute etwas ganz Besonderes: Zitronencocktail!«
Wüllner lachte. »Cocktail! – Ein schöner, friedensreicher Name für ein Zuckerwässerlein … Aber bringen Sie ruhig zwei von diesen Dingern!«
Dann wandte er sich Hilde zu: »Hier findest du das gleiche Publikum wie bei Borchardt. Hohe Parteibonzen und Regierungsfunktionäre, die gegen ihr eigenes Tanzverbot verstoßen.«
Hilde blickte sich um. »Ich sehe hier aber keine Kapelle! Ohne Musik kann man doch nicht tanzen. Oder überträgt man etwa Radiomusik?«
»Abwarten, kleines Mädchen!«
»Ich bin kein kleines Mädchen«, sagte Hilde trotzig. »Ich bin einssiebenundsechzig. Und außerdem Studentin!«
»Der Psychologie! Grauenhaft! Wie kann ein Mädchen Psychologie studieren!«
»Ich möchte einen Sozialberuf ergreifen, dazu brauche ich das.« Und mit einem kessen Lächeln fügte sie hinzu: »Außerdem kann man mit Psychologie die Männer besser durchschauen.«
»Das halte ich für ausgemachten Unsinn. Sogenannte Psychologen benutzen doch ihre sogenannte Wissenschaft nur dazu, um eigene Wünsche und Hoffnungen hineinzuprojizieren und das Ganze dann als gesicherte Erkenntnis zu verkaufen.«
»Und was machen Schriftleiter oder Redakteure oder wie man diese Tatsachenverdreher sonst nennen mag?« hielt Hilde dagegen. »Die stellen doch alles, was passiert, nicht der Wahrheit gemäß dar, sondern wie es ihnen gerade in den Kram paßt. Und dann sind sie auch noch überzeugt davon, sie hätten für ihre armen, irregeführten Leser das Bestmögliche getan.«
Bevor Heinz antworten konnte, brachte der Kellner die beiden seltsamen Cocktails. Heinz hob eines der Gläser hoch und sagte:
»Trinken wir auf das, was uns beiden tief unten im Herzen liegt, und was wir beide nicht wissen wollen, aber über kurz oder lang einmal wissen müssen: auf die Liebe!«
Er stieß an Hildes Glas, daß es hell aufklang.
»Liebe ist ein zu großes Wort, um es als Toast zu nehmen!« meinte sie.
»Aber die Wahrheit zu sagen, ist keine Schande!«
Hilde wurde wider Erwarten nicht rot. Sie wunderte sich selbst darüber und bemühte sich, ein wenig Röte aus sich herauszupressen. Aber während sie noch den Atem anhielt, öffnete sich im Hintergrund eine verdeckte Wand, und auf einem fahrbaren Podium fuhr mit einem flotten Slowfox eine Tanzkapelle in den Saal.
Hilde vergaß ihren Versuch, rot zu werden. Diese Musik, das geisterhafte Erscheinen der Kapelle, die unvermittelt hochbrandende Lebendigkeit an allen Tischen nahmen sie so gefangen, daß alles andere um sie herum versank.
Endlich wieder einmal richtige Tanzmusik, tanzende Paare auf einem spiegelnden Parkett, und dazu Wein, Parfüm, Puder, Schminke, ein Mixer in der Eckbar, Saxophon, Schlagzeug, Rhythmus … die Beine zuckten, das Blut wirbelte … und ehe Hilde zur Besinnung kam, stand sie schon auf der Tanzfläche, lag halb im Arm dieses Lümmels von Schriftleiter, dem ein paar graue Haare über die hohe Stirn hingen, und fühlte sich fortgetragen in eine prickelnde Märchenwelt der Musik, des Frohsinns – und der Liebe.
Hilde tanzte gut. Sehr gut sogar. Ihr schlanker Leib bog sich hin und her, und Heinz Wüllner spürte eine drängende Sehnsucht, den anschmiegsamen, berauschenden Mädchenkörper zu genießen, sich hineinzuwühlen in die blonden Haare und nicht zu fragen nach Zeit und Ort, nach Zukunft und Gegenwart!
Gewaltsam riß er sich zusammen. Dieses Mädchen war kein Abenteuer! Ihr Körper mit den zarten Brüsten war keusch, ihre Augen blickten frei und offen, hell und klar und voller Vertrauen, ihre Hand lag ohne forderndes Verlangen leicht und zart auf seiner Schulter – nur einmal
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