Heimaturlaub
strichen ihre Finger seine grauen Haare behutsam aus der Stirn.
Das geschah so selbstverständlich, so rührend lieb, daß Heinz, von der Reinheit des Mädchens ergriffen, ihren kleinen Finger nahm und mit einer bei ihm ungewohnten Zärtlichkeit an seine Lippen führte.
Nun errötete Hilde doch und zog schnell die Hand zurück. Dabei senkte sie den Blick. Ganz leicht drückte Heinz sie an sich und sagte leise:
»Hilde – vergiß es, wenn du's nicht hören willst: Ich hab' dich lieb!«
Hilde blickte ganz langsam zu ihm auf:
»Das ist doch nur der Wein, die Umgebung, die Freude am Leben …«
Heinz Wüllner schüttelte den Kopf und sah Hilde fest in die Augen:
»Nein … es stimmt so, wie ich es sage: Ich liebe dich!«
Er staunte über sich. Wie oft hatte er im Kreis seiner Kameraden und Kollegen die Ehe als eine Fessel abgelehnt, sich aufgebäumt gegen den Gedanken, einer einzigen Frau zu gehören, wo die Welt doch voller Schönheit war und sich ihm entgegenwarf. Verabscheut hatte er den Gedanken, in einem sogenannten ›gemütlichen Heim‹ den Hausvater zu spielen und zwischen Windeln und Kindergeschrei sein Abendbrot zu verzehren. Ja, er hatte sogar einmal behauptet, die Ehe sei die größte Strafe gewesen, die Gott im Paradies über Adam verhängt habe, und der moderne Mensch müsse das Leben in freier Verfügungsgewalt genießen mit allen Höhen und Tiefen – anstatt auf halbem Weg in einem seichten Ehesumpf zu versinken. Mancher Kollege hatte gelächelt und gesagt: Alter Freund, wenn es dich richtig packt, so denkst du an gar nichts mehr, sondern bist nur noch erfüllt von der Liebe zu dieser einen, einzigen Frau! Da hatte er sie Idioten gescholten und bürgerliche Spießer. Und jetzt? Jetzt träumte er sich hinein in eine Welt der Liebe, die leer erschien ohne dieses Mädchen, das so plötzlich und so unerwartet in seinem Leben aufgetaucht war.
Und Hilde? Wie sah sie ihre Beziehung zu Heinz Wüllner? In ihrem Herzen standen nur zwei Worte: Geliebter Lümmel! Weiter nichts! Aber das genügte. Das besagte alles: Mit dir wandere ich bis ans Ende der Welt, stehle Pferde mit dir, bin Kameradin, Geliebte, Frau. Aber was ist mit ihm, mit Heinz? Wie steht er dazu? Ist es ihm ernst? Über alle Zweifel hinweg war eine Stimme in ihrem Inneren, von der sie nicht wußte, ob es die Stimme des guten oder schlechten Ichs war, und diese Stimme sagte: Frage nicht, folge deinem Gefühl! Liebe ist mehr als alle Gedanken, mehr als Wunsch und Sehnsucht – die Liebe ist das Leben.
Da war der Tanz zu Ende, und Hilde wußte: In diesen entscheidenden Minuten hatte etwas Neues, etwas ganz Großes begonnen. Als sie später mit Heinz hinaustrat, blieb sie nach ein paar Schritten stehen und zupfte ihn leise am Ärmel:
»Du!«
»Ja?«
»Ich muß dir etwas sagen … Ich hab' dich auch lieb!«
»Dann ist ja alles gut«, sagte Heinz, beugte sich zu ihr nieder, küßte sie leicht auf die Augen und ging wortlos weiter. Der kalte Wind spielte mit seinen Haaren, als er den Hut abnahm und die Schneeluft um seine Stirne wehen ließ. Es war heiß … das Feuer des Glücks brannte in ihm!
Hilde sah auf seine flatternden Haare.
»Du erkältest dich, Heinz«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Laß mich die Nachtluft genießen – ich weiß nicht, was ich zuerst denken soll … der Wind ist so schön kühl … so klar …«
Lange Zeit sprachen sie kein Wort mehr, tapsten nur durch den hohen Schnee einer stillen Querstraße dem Berliner Westen zu. Die Häuser rückten hier eng aneinander und sahen würdevoll aus. Alt. Mächtig. Wie bärtige Handelsherren oder biedere Zunftmeister, etliche auch mit ihren Butzenfenstern und gedrechselten Türen wie feierliche Patrizier.
Dann standen sie vor einem schwarzen Eingang, und Wüllner öffnete die Tür, die in einen langen Gang führte, an dessen Ende durch eine verdunkelte zweite Tür ein wenig Licht auf den Flur fiel. Die Wände waren behangen mit Gemälden von Rubens und Rembrandt, allerdings nur Farbdrucke, aber doch geschmackvoll nebeneinander aufgereiht … der Mann mit dem Goldhelm … die drei Grazien … Rembrandt und Saskia … alte Kultur mit alter Patina.
Der Raum, in den sie jetzt eintraten, war halbrund und aufgeteilt in einzelne Logen, in denen Künstler saßen, Familienväter mit ihrer Gattin, Studenten im Kreise ihrer Professoren. Ein völlig anderes Publikum als die Leute in dem Tanzlokal. Nichts von Verrücktheit, zweideutigem Flirt, oberflächlicher Tändelei. Nein, eine biedere,
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