Heimaturlaub
reichen Industriellen, die für ihre Villen und Landsitze Statuen bei mir bestellten, ab und zu auch mal eine Büste. Da blieb es nicht aus, daß viele meiner Freunde einer Rasse angehörten, die nach 33 als minderwertig, gefährlich und verbrecherisch bekämpft und verfolgt wurde. Die sogenannte Machtergreifung war auch für mich ein Umschwung. Statt der Industriellen wurden Naziführer meine Kunden, ließen sich und ihre Geliebten modellieren, und SS-Führer schlugen mir in einer betrunkenen Laune das ganze Atelier zusammen, weil sie in meiner Studienmappe einen Kopf von Stresemann fanden. Aber auch dieser Sturm ging vorüber, und so arbeitete ich mich durch alle Fährnisse hindurch, stellte in München auf der Großen Deutschen Kunstausstellung aus und alles schien in Ordnung. Da gab man eines Tages in einem Atelier im trauten Kreise einen Budenzauber … ihr wißt, so mit Lampions, Hausbar, Tanz und Mädchen, meistens unsere Modelle. Wie nun alles so kommt … man hat einen kleinen Höcker getrunken, man ist in seine Abenddame bis über beide Ohren verliebt, man küßt sich und verschwindet in den Nebenräumen – Verzeihung –, und da fragte mich das kleine Mädchen, Mary hieß sie und hatte ein Paar Augen wie glühende Kohlen – da fragte sie mich, was ich eigentlich von dieser Regierung hielte. Ich war zu verliebt, um zu denken, und lallte, das alles sei doch nichts weiter als ein schlechtes Theaterstück, des deutschen Volkes unwürdig … jedenfalls muß ich ganz schön meinem Herzen Luft gemacht haben, denn am nächsten Morgen fand ich mich wieder in einem Keller der SS. Das Modell war eine Agentin der Gestapo gewesen, der ich sowieso schon immer ein Dorn war; überdies trachtete ein SS-Bildhauer nach meinem Atelier.«
Borgas hielt inne und nahm einen tiefen Schluck Wein. Heinz und Hilde sagten kein Wort. Sie blickten sich nur an, und Heinz nahm ihre Hand und drückte sie, als wollte er sagen: Auch diese Zeit wird einmal vorbeigehen – die Welt unserer Kinder wird schöner sein.
Friedrich Borgas fuhr fort.
»Ja. So war es. Es gab keinen Prozeß. Es gab überhaupt kein richtiges Verhör. Aber man sagte mir in aller Offenheit, warum ich verhaftet worden war. Nicht wegen meiner offenen Worte in der Liebesnacht – nein, die wurden nur als Vorwand benutzt. Der wahre Grund war ein anderer: Ich wußte zuviel. Ich hatte nämlich einen Freund im Generalstab, der mich in geheime Dinge einweihte, und dies mußte man erfahren haben. Ich kannte die Einzelheiten der Affäre mit Generaloberst Fritsch, der aus der Wehrmacht entlassen wurde, um als Regimentskommandeur im Polenfeldzug wieder aufzutauchen. Ein Generaloberst und ehemaliger Oberbefehlshaber des Heeres als Regimentskommandeur! Die Folge war, daß er sich als erster in die vorderste Linie stellte und dort gefallen ist. Ehrenvoller Selbstmord eines der fähigsten deutschen Köpfe unter der Generalität. Dann die Affäre von Blomberg. Weil er eine Sekretärin heiratete, mußte er abdanken als Reichskriegsminister. Oder die Sache mit Generalfeldmarschall von Brauchitsch, der als erster und einziger den Mut hatte, auszusprechen, daß ein Marsch in die unendlichen Weiten Rußlands Deutschlands Ende sein würde. Er sah Stalingrad voraus, sah den Zusammenbruch vor sich – und mußte gehen, weil er zu klug war, klüger als sein Herr. Sein Verbrechen war, daß er Millionen Soldaten auf beiden Seiten das Leben retten wollte.«
Borgas griff zum Weinglas, trank mit einem durstigen Zug und strich sich über die Stirn.
»Jedenfalls kam ich in ein Konzentrationslager, wurde mißhandelt, sah die Verbrennungsöfen, die Gaskammern, die blutbespritzten Folterkeller, die Chlorkalkgruben; die Wasserzellen, wo Menschen ertränkt wurden in stundenlanger sadistischer Quälerei; Schändungen und Vergewaltigungen von blühenden Mädchen durch die SS; sah die Werkstätten, wo man aus Menschenhaut Lampenschirme und Bucheinbände herstellte; Zellen, in denen Skelette lebten, Wahnsinnige mit glühenden Nägeln gezwickt wurden, Frauen mit Bißwunden in Brust und Schenkeln lagen; ich sah, sah und sah, und ich schämte und verfluchte mich, daß ich ein Deutscher war. Nach zwei Jahren empfand ich mich selber als ein Skelett, als ein wandelnder Tod. Warum man mich plötzlich dann doch wieder entlassen hat – ich weiß es nicht. Das gehört zu den Unwägbarkeiten launenhafter Parteibonzen. Ich trat wieder an die Luft und fragte mich, ob ich noch lebe oder ob ich die Hölle hinter mir
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