Heimaturlaub
es Menschen, die einer solchen Grausamkeit fähig waren? Man lebte doch in einem Kulturvolk, das sich zu den edelsten Völkern der Erde zählte … und dann solche Abscheulichkeiten?
Ja, und diese Propaganda? Konnte es Männer geben, die ein Volk wissentlich belogen? Die den eigenen Staat in den Abgrund stürzten, aber nach außen hin von der glänzendsten Zukunft aller Völker sprachen? Lohnte es sich noch, in solch einem Land zu leben?
Hilde fror in der heißen Luft des Lokals. Sie fror von innen her. Sie fühlte sich plötzlich so merkwürdig verhärtet, so wach und kritisch, daß es weh tat.
Wüllner kam mit einer Flasche und mit leuchtender Siegermiene zurück, schenkte die Gläser voll und brachte stehend einen Trinkspruch aus, der durch das ganze Lokal tönte und so ungeheuer kühn war, daß Hilde erbleichte:
»Auf die Freude zu leben, die Bedenklichkeit des Krieges und auf das Glück, das kommt, wenn der Krieg unglücklich wird!«
Ein Raunen ging durch die Reihen. Aus einer der Logen schälte sich ein Mann, angetan mit einem schwarzen, gutbürgerlichen Anzug, und wankte, gedrückt durch die Last seines Bauches, auf Heinz zu. Kurz vor ihm hob er seinen rechten Rockrevers ein wenig zur Seite und zeigte ihm darunter eine kleine silberne Marke.
Das Ganze sollte heißen: Mein Junge, jetzt geht's dir an den Kragen – Kriminalpolizei!
Wüllner lächelte den dicken Herrn an.
»Darf ich Sie bitten, einen Augenblick bei mir Platz zu nehmen?«
»Es wäre mir sehr lieb, danke.«
Er setzte sich, nachdem er vorher die bleiche, zitternde Hilde begrüßt hatte, die gleichfalls das kleine Abzeichen unter dem Revers zu deuten wußte.
»Sie wollten mich sprechen?« fragte Heinz.
»Sprechen nicht, aber Sie ermahnen. Sie haben soeben eine agitatorische Rede gegen die Regierung geführt. Wäre ich ein Kollege von der Gestapo, säßen Sie jetzt bereits in einem vergitterten Auto.«
»Ich glaube nicht, Herr …«
»Delft. Kriminalrat Delft.«
»Auch die Gestapo hätte mir nichts anhaben können.«
»Sie haben deutlich eine Verspottung und den Wunsch geäußert, daß der Krieg verloren werden müßte.«
»Nicht daß ich wüßte. Wenn Sie und die anderen Volksgenossen meine Rede so verstanden haben, so gingen sie um den Sinn des Spruches herum.«
»Aber es war doch ganz deutlich!«
»Bitte, beweisen Sie es mir, Herr Delft.«
»Erstens die Bedenklichkeit des Krieges!«
»Ist der Krieg nicht bedenklich … für unsere Feinde?«
»Das sind Verdrehungen! Dann: Das Glück, wenn der Krieg unglücklich wird …«
»Wenn der Krieg unglücklich wird, so ist das doch das gleiche, als wenn ich sage, der Krieg stirbt. Er ist zu Ende. Und das ist doch ein Glück für uns.«
»Aber es klang anders!«
»Man darf nicht dem Klang allein lauschen; die Melodie ist wichtig und das, was sie ausdrücken will.«
»Sie weichen geschickt aus, Herr …«
»Wüllner, Heinz Wüllner.«
Der Kriminalrat riß die Augen auf.
»Sind Sie der Hauptschriftleiter und Schriftsteller vom Europaruf-Verlag, der auch das Buch von der freien Seele des Menschen schrieb?«
Heinz lachte. »Genau derselbe!«
Delft reichte ihm die Hand über den Tisch.
»Dann will ich nichts gesagt haben. Ihr Buch hat in meinem Bücherschrank einen Ehrenplatz. Alles Gute und nichts für ungut. Guten Abend, gnädige Frau.«
Und er entfernte sich schnell samt seinem silbernen Abzeichen unter dem Revers, um seiner Frau und seiner Tochter in der Loge temperamentvoll die Begegnung zu schildern.
Wüllner umfaßte Hilde. »Hast du gehört? – Er sagte zu dir ›gnädige Frau‹!«
»Du warst unvorsichtig! Wenn du so weitermachst, gehe ich nicht mehr mit dir spazieren!«
»Du willst es also noch? Dann ist ja alles gut!« lachte er vergnügt und trank ex. »Wie fühlst du dich eigentlich als gnädige Frau?«
»Ungemütlich.«
»Wieso?« – Heinz riß die Augen auf.
»Weil die Kriminalpolizei mit dir spricht!«
»Aber es war doch ein gemütlicher Onkel.«
»Man macht seiner Frau nicht so unnötige Sorgen!«
Wie das klang: seiner Frau! Zu süß, um es durch eine Antwort zu entweihen. Und so sagte Heinz Wüllner auch nichts, sondern nahm das Lockenköpfchen in seine Hände und küßte die Lippen lange und herzhaft.
Das ganze Lokal sah es, alle lächelten, aber das kümmerte ihn nicht. Nur Hilde wurde rot, glühend rot, und trat ihm gegen das linke Schienbein.
»Au! Was war denn das?«
»Mein Fuß! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Mich vor allen Leuten
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