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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es ernst: Ich heirate!«
    Frau Lancke meinte zu wanken. Sie kam sich vor, wie des Flammenschwertes beraubt und lächelte schwach.
    »Sie scherzen, Herr Wüllner.«
    »Nein, ich scherze nicht. Und noch mehr – es heißt Abschied nehmen: Die sechzehn Tage Urlaub von der Front sind morgen um.«
    Nun wurde Frau Lancke wirklich knieweich.
    »Das heißt doch nicht, daß Sie wieder …«
    Sie stotterte, und die Tränen kamen ihr.
    »Doch«, sagte Wüllner hart, »es ist wieder so weit. Packen Sie alle Sachen zusammen und stellen Sie sie auf den Flur neben die Garderobe. Ich hole mir den ganzen Kram dann morgen früh ab.«
    Er öffnete die Tür zum Herrenzimmer und ging in den peinlich sauberen, großen Raum. Eine schwere Einrichtung aus dunkler Eiche im Stil der Spätrenaissance gab dem Zimmer einen dunklen, repräsentativen Charakter, noch verstärkt durch die großen Koggen auf dem Bücherschrank und das schwersilberne Schreibgerät auf dem Schreibtisch.
    Heinz Wüllner ließ sich in einen Sessel fallen.
    Frau Lancke war ihm gefolgt.
    »Soll ich Ihnen nicht drei neue Hemden einpacken?« fragte sie und wischte sich die Augen, die davon ganz rot wurden und nichts mehr gemeinsam hatten mit dem Erzengel Gabriel. »Damals sagten Sie auch nein, und schrieben später, ich solle sie Ihnen doch schicken.«
    Den letzten Satz sagte sie schnell zur Vorbeugung, da sie wußte, daß Heinz Wüllner mehr nein als ja sagte, vor allem bei ihren Vorschlägen. Und da sie gewissermaßen Mutterstelle an ihm vertrat, so meinte sie doch, daß auch ein paar dicke Unterhosen angebracht seien.
    »Und wer soll das alles schleppen? Wer soll dieses Zentnergewicht von Tornister und Koffer tragen? Ich! – Wissen Sie was, Frau Lancke? Wir nehmen überhaupt nichts mit!«
    Der Erzengel riß die Augen auf.
    »Gar nichts?«
    »Nur das Nötigste.«
    »Also doch Hemden und Unterhosen!«
    »Aber nur ein Paar!«
    »Drei sind besser«, feilschte sie hartnäckig.
    »Aber schwerer …«
    »Sie halten wärmer. Wo geht es denn jetzt hin?«
    »Keine Ahnung. Ich muß mich in Berlin W melden. Richtung unbekannt.«
    Wüllner hatte sich eine Zigarette aus der Bernsteindose genommen und zündete sie an. »Eine Bitte hätte ich noch.«
    »Ja?«
    »Für eine Viertelstunde möchte ich allein sein.«
    Frau Lancke wandte sich schnaubend ab und schluchzte an der Tür noch einmal auf. Dann war Wüllner allein.
    Er blickte sich um, sah den Bücherschrank und die ebenfalls mit Büchern dicht gefüllten Regale, an den Wänden die alten Meister, ließ seinen Blick über den Rauchtisch schweifen, über die Stehlampe, die Hausbar, die Ecke mit den Bildern der Eltern, des Großvaters und Urgroßvaters, und sein Blick blieb schließlich an einem Gemälde hängen: Böcklings Toteninsel.
    Heinz lächelte vor sich hin. Die Toteninsel erschien ihm plötzlich wie ein Symbol der Zeit. Ja, man stand am Rande der Toteninsel, und die vermummte Gestalt in dem Kahn, die über das wellenlose Meer fuhr, konnte Deutschland sein, Hitler oder Heinz Wüllner selbst. Wer wußte es? Und dieser Fährmann, der die Gestalt in das Reich des Schweigens ruderte – Charon nannte ihn die Sage –, konnte er nicht die Verkörperung des Gewissens und der Verantwortung sein? Wie still diese Insel lag, welcher unheimliche Frieden aus dem Bild drang … und doch war es, als wehe über das stille Wasser der süßliche Geruch verwesender Leiber.
    Wüllner stand auf und ging zu den Bildern der Vorfahren. Er knipste die hohe Stehlampe an, da es draußen zu dunkeln begann. Da hingen sie nebeneinander, lächelnd und ernst, würdevoll und lässig, die Ahnen der Familie Wüllner. Sie stammten aus einem Geschlecht, das einmal vor Hunderten von Jahren auf einer wilden Burg hauste und zu den gefürchtetsten Raubrittern seiner Zeit gehörte. Da hing sein Großvater, der Tuchfabrikant. Sein Urgroßvater, der Spitzen Webereien hatte. Da hing in einem neueren Rahmen sein Vater, Robert Wüllner, ehemaliger Regierungspräsident und Abgeordneter der Landratskammer. 1939, als der Krieg die Welt aufriß, war er still entschlafen in dem Augenblick, als der Rundfunk die Sondermeldung von der Einnahme Warschaus brachte.
    Kurz zuvor hatte er zu seinem Sohn gesagt: »Siege erringen, das gewinnt keinen Krieg. Glaube mir, mein Junge, ich bin so froh, daß ich diesen Sturz in den Abgrund nicht mehr erlebe.«
    Zwei Tage später starb er. Die Ärzte sagten, es sei Abzehrung gewesen; aber Heinz Wüllner kannte seinen Vater, den alten, strengen

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