Heimaturlaub
Schneeriesen stehen und lasen mit Schmunzeln die Dichtung auf dem Pappkarton:
Ein Schneemann bin ich von Gestalt,
und meine Seele ist nur eisig,
und schmelz ich auch bei Sonnenschein,
so manches gibt's, das weiß ich:
So glaub' ich an des Krieges Ende,
und an der Zukunft gold'ne Zeit
will ich mich im voraus berauschen,
ist auch der Tag noch grau und weit.
Doch wird mein Deutschland einst erwachen
aus Grauen, Tränen, Blut und Tod,
so will voll Freude ich erglühen,
und schmelz ich auch als Wasser fort.
So steh' ich hier zu aller Freude,
mein Lachen treff in jedes Herz,
und will ein Miesepeter meckern
was macht's, ich zeige ihm den Sterz!
Und die Menschen, die das lasen, lachten und meinten, dieser Dichter sei ein Scharlatan und ein Lümmel vor dem Herrn. Dieser Lümmel ging unterdessen mit seiner Hilde und in einem völlig verschmutzten und zerknitterten Anzug über die Hauptstraßen Berlins, kümmerte sich nicht um die erstaunten Blicke der Passanten, die den beiden nachsahen, und meinte nur zu seiner Begleiterin:
»Ich glaube, ich muß etwas an mir haben. Alle sehen mich an. Bin ich ein so schöner Mann?«
Und Hilde konnte nur lächeln, ganz glücklich lächeln, obgleich sie sich rasend schämte.
An einer Straßenkreuzung blieb Wüllner plötzlich stehen.
»Hilde, ich möchte dich um etwas bitten.«
Hilde nickte. Seit einer Viertelstunde war Heinz wie umgewechselt. So toll er im Tiergarten war, so in sich gekehrt ging er jetzt neben ihr her, sprach kaum ein Wort und stierte vor sich in den Schnee, anscheinend gedankenlos – und doch mahlten seine Backenknochen, als wollte er sich zwingen, etwas zu unterdrücken. Ein plötzlicher seelischer Kampf schien in ihm ausgebrochen zu sein, und Hilde hielt den Atem an; was würde jetzt kommen?
Aber Wüllner sah nur etwas zur Seite und meinte ruhig:
»Kannst du allein nach Hause gehen? Ich komme in einer halben Stunde nach … ich möchte noch einmal nach meiner alten Wohnung sehen und einige Sachen ordnen.«
Hilde nickte:
»Selbstverständlich.«
Sie dachte: Sollte das wirklich sein ganzer Kummer sein? Da mußte noch anderes dahinterstecken. Ganz vorsichtig wandte sie sich ihm zu.
»Du bist so ernst, Heinz.«
»Ich habe an etwas gedacht«, antwortete er ausweichend.
Hilde fühlte dieses Beiseitetreten. Sie drang nicht weiter in ihn, sondern meinte nur:
»Wirf die schlechten Gedanken fort … du hast mich, ich habe dich … da ist alles gut.«
Heinz streichelte ihr über die wirren Locken.
»Tja, da will ich mal gehen«, sagte sie tapfer und gab ihm die Hand. »Und komm nicht zu spät, wir wollen früh essen und dann noch ein wenig in die Sterne sehen und Luftschlösser bauen … das tu' ich so gern.«
Und sie eilte um die nächste Straßenecke.
Wüllner blieb noch eine kurze Zeit auf demselben Platz stehen und blickte zu Boden. Dann ging er in Richtung der U-Bahn, löste eine Karte nach Dahlem und grübelte die ganze Fahrtzeit vor sich hin wie ein Mann, der von irgend etwas Abschied nimmt oder genommen hat.
In Dahlem bummelte er durch die stillen Villenstraßen, vorbei am sogenannten Filmschauspielerviertel, einer Villenkolonie, die größtenteils von Prominenten bewohnt wurde, und hielt vor einem großen Sandsteinbau, der, nach den Namensschildern zu urteilen, für mehrere Familien eingerichtet war.
Wüllner drückte auf einen Klingelknopf, ging durch die elektrisch sich öffnende Haustür, stieg eine Treppe hinauf, die mit einem roten Teppich an Messingstangen belegt war und trat in eine Wohnung, an deren Tür in Goldschrift ein Name stand, mit einem kleinen Wappen verziert: Heinz Wüllner.
Frau Lancke, die alte Haushälterin des bisher notorischen Junggesellen Wüllner, empfing ihn in der Diele, nicht, ohne vorwurfsvoll den Kopf zu schütteln über den schmutzigen, verknitterten Anzug und noch mehr über das lange Ausbleiben ihres Schutzbefohlenen. Denn Heinz Wüllner hatte einmal zu Frau Lancke gesagt: »Wenn ich in die Gefahr komme, mich zu verlieben, so nehmen Sie den großen Teppichklopfer und wecken mich auf. Und sollten die Mädchen in Scharen vor meiner Tür stehen, Sie sind mein Erzengel Gabriel mit dem Feuerschwert.«
Dieser Satz hatte Frau Lancke so gut gefallen, daß sie ihn auswendig lernte und sich täglich vorsagte. Auch heute stand sie in der Diele und sagte zum Empfang:
»Soll ich den Teppichklopfer holen?!«
Aber Wüllner war heute nicht zum Scherzen aufgelegt. Er winkte ab und warf seinen Hut auf die Flurgarderobe.
»Heute ist
Weitere Kostenlose Bücher