Heimaturlaub
einzelnen, der Einsamen.
Heinz Wüllner verließ Dr. Elbers mit dem Gedanken: Daß es solche Männer gibt, noch dazu in der Höhle des Löwen, ist immerhin ein Lichtblick. Und eine Hoffnung für die Zukunft.
Schon von weitem sah Hilde ihren Heinz über die Wilhelmstraße schlendern, die Hände tief in den Taschen seines Ulsters, mit den Spitzen seiner Schuhe den Schnee vor sich hertretend wie ein kleiner, spielender Knabe, während in seinem rechten Mundwinkel eine Zigarette hing.
Der da angetrottet kam, war also ihr Mann! Wie komisch das klang: ihr Mann! Ein erwachsener Mensch, der ganz allein ihr gehörte. Ein Mensch, von dem sie überhaupt nur wußte, daß er Heinz Wüllner hieß, in seinem Beruf eine angesehene Persönlichkeit war und ein Lausejunge dazu. Weiter nichts. Er erzählte nichts von seinen Kriegserlebnissen, nichts von seinen Eltern, schwieg sich aus über Geschwister, über alles, was Familie betraf, und wenn er den Mund öffnete, waren es entweder süße Frechheiten oder kritische Bemerkungen zur Politik.
Sie stellte sich in einen Hausflur und wartete. Da kam er vorbeigetrottet, sah nicht nach rechts und links, und schlürfte an ihr vorbei. Hilde hörte, wie er ein Lied vor sich hinbrummte.
Schnell eilte sie ihm nach und zog an seinem Ulster.
Wüllner drehte sich um. Als er Hilde sah, kam ein Glanz in seine Augen und er sagte laut:
»Guten Morgen, Frauchen!«
Hilde war nicht zum Scherzen aufgelegt. Sie spürte, daß er innerlich erregt war.
»Ist etwas geschehen? Du siehst traurig aus.«
»Traurig? Nein! Aber bedenke doch: Ich bin müde … die schlaflose Nacht … unsere Nacht!«
Er versuchte abzulenken, aber Hilde ließ sich nicht beirren:
»Du hast Kummer! Das Ministerium? Schlechte Nachrichten?«
Er ging nicht darauf ein, sondern fragte:
»Sollen wir einmal ganz feudal leben? Gehen wir ins Adlon! Oder in den Kaiserhof?«
Hilde nickte. »Ins Adlon. Im Kaiserhof triffst du sicher wieder Leute vom Ministerium. Und ich möchte nicht, daß du heute den ganzen Tag mit einer Miene herumläufst, als seist du ein Sargverkäufer!«
Heinz lachte über diesen Vergleich. Aber er fügte sich doch ihrem Wunsch und steuerte auf das Adlon zu.
Nach einem Mittagessen, das mehr delikat als quantitativ war, machten sie angesichts des schönen Wetters noch einen Schneebummel und landeten schließlich wieder an ihrem geliebten Zoo.
Als Heinz voller Übermut Versteck spielte, im Gedränge der Leute an der Zookasse verschwand und Hilde ihn suchte, spielten die Straßenpassanten mit und bildeten wissentlich eine Mauer zwischen Hilde und Heinz. Dieser hatte so Gelegenheit, eine Karte zu lösen, und neckte nun hinter der Abzäunung die vorwärtsdrängende Hilde.
Ein dicker, jovialer Herr, der aussah, als sei er Vorstand einer Junggesellenvereinigung, philosophierte zu seinem Nachbarn:
»Ja, ja, die Liebespaare. Heute heißt es Schnucki, Mausi und Püppchen … und sind sie verheiratet, so heißt es Bestie, Drachen, Ekel, Scheusal und Xanthippe! Glücklich der, der nicht heiratet.«
Und er putzte sich die Nase. Der Nachbar aber war Vater von zehn Kindern und seine Frau trug das goldene Mutterkreuz. Mißbilligend sah er auf den Sprecher herab:
»Was Sie da sagen, ist gegen unsere Regierung. Wer die Ehe verneint, ist ein Staatsfeind. Man sollte Sie der Gestapo übergeben!«
Zitternd entfernte sich der Dicke. Der große Vater blickte um sich, als wollte er sagen: Dem habe ich's aber gegeben! Es lebe der Führer!
Unterdessen war Hilde endlich bis zur Kasse vorgedrungen, hatte eine Karte gelöst und stand nun neben Wüllner, der diese kleine Episode mitangehört und dem kinderfreudigen Vater am liebsten den Hals umgedreht hätte. Als er an ihm vorbeiging, sprach er ihn an:
»Sie scheinen sich verlaufen zu haben!«
»Wieso?«
»Die Irrenanstalt ist mit der S-Bahn zu erreichen!«
Schnaubend ging der Herr weiter. Hilde aber sah den Geliebten erstaunt an:
»Du, wer war denn das?«
»Einer jener Armen, die plappern, ohne zu denken. Das beste Mittel ist noch immer: Kaltwasserkuren und Prügel!«
Dann aber zog er Hilde zu einem Käfig, in dem ein Lama stand und in die Gegend spuckte.
»Weißt du, an wen mich dieses Lama erinnert?« fragte er.
»An Tibet?«
»Nein. An Dr. Ley!«
Hilde erbleichte und sah sich um. Es war kein Mensch in der Nähe, deshalb wagte sie »Warum« zu fragen.
»Ich kenne einen Ministerialrat aus dem Propagandaministerium. Er heißt Dr. Elbers und ist in diesem ganzen Laden der
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