Heimaturlaub
einzige Mensch, der noch menschlich denken und fühlen kann. Jedenfalls kam der einmal in sein Zimmer zurück und sagte: Sehen Sie mir nichts an? Ich bin gebadet worden, ich war eine Stunde bei Dr. Ley. – Ich fand diesen Witz köstlich, denn man muß Ley kennen, um zu wissen, wie er einen beim Sprechen anspuckt.«
Hilde fand diesen Witz gar nicht köstlich, sondern ziemlich gewagt. Aber sie sagte nichts, sondern nickte nur. Vor dem Pfauenpavillon blieben sie wieder stehen.
»Das ist Göring! Ein Pfau, der sich bläht und zu dumm ist, um zu erkennen, daß die ganze Welt über ihn lacht!«
Vor dem Hyänenkäfig meinte er: »Himmlers Double. Hinterlistig, feig und Totengräber!«
Bei den Vögeln sagte er: »Goebbels' Lieblingstiere. Vor allem der Auerhahn, wenn er in der Balz ist. Der schreit genauso, wie wenn Goebbels durch ein Atelier der Ufa in Babelsberg geht und die Aufnahmen der Schauspielerinnen lobt.«
Beim Affenhaus aber hielt er lange inne, betrachtete die Schimpansen, Gorillas und Meerkatzen und nickte mit dem Kopf.
»Das deutsche Außenministerium! Affen, die mit der Weltkugel spielen und aus politischen Blechschüsseln essen.«
Da wandte er sich ab und sagte zu Hilde, der alle Freude am Zoo vergangen war:
»Nicht traurig sein – wir gehen gleich aus diesem Theater heraus. Ich will nur noch das Nazitier sehen.«
»Das Nazitier?« fragte Hilde erstaunt. »Was ist denn das für ein Vieh?«
»Ein Geschöpf, das am treffendsten unsere ganze Zeit verkörpert.«
Und er machte halt vor einem kleinen Käfig, an dessen Gitter der Name stand: Stinktier!
Anschließend schlenderte er mit Hilde aus dem Zoo heraus und bummelte hinein in den Tiergarten, wo der Schnee unberührt lag von den Schaufeln der Straßenkehrer und wo tiefe, wohltuende Ruhe herrschte. Heinz bückte sich, um angeblich seine Lackschuhe zuzubinden. Hinterhältig ließ er Hilde ein paar Schritte vorgehen, scharrte einen großen Schneeball zusammen und sprang leise zu ihr vor. Ein Heben des Armes, ein Öffnen der Finger – und der große Schneeball ergoß sich über den blau-weißen Turban und den braunen Fohlenmantel, klebte an wirren Locken und rieselte in den Hals.
Hilde schrie gellend auf. Dann drehte sie sich um, bückte sich, nahm einen Schneeball auf, und während Heinz noch nach Deckung suchte, kam der kalte Ball geflogen und landete an Wüllners Kinn.
Die Folge war eine zünftige Schneeballschlacht. Und alle Fußgänger lächelten über die zwei jungen Menschen, die sich wie Kinder im Schnee wälzten.
»So«, meinte Hilde, als sie rittlings auf Heinz Wüllners Brust saß, und sein Gesicht mit Schnee abrieb, »gibst du jetzt endlich zu, von mir einmal besiegt zu sein?!«
»Nur, weil du mich gekitzelt hast … und weil du so süß bist!«
»Sage: Du bist stärker als ich!«
»Ich werde mich hüten!«
»Du sagst es nicht?«
»Nein!«
Sie hob einen neuen Schneeblock. Wüllner wälzte sich zur Seite und sprang auf, so daß Hilde der Länge nach in den Schnee fiel.
Er half ihr hoch und erklärte feierlich:
»Wir sind gleich stark … aber du bist ein Luder!«
Beide sahen sich an, lachten auf einmal, und Heinz küßte Hilde auf die kalte, etwas rotgefrorene Nase. Dann scharrte er Schnee zusammen, baute einen Sockel und meinte:
»Was war dein Vater, Hilde?«
»Architekt.«
»Wundervoll. Beweise deine Herkunft und baue mit mir einen Schneemann!«
Was dann nach einer guten Stunde in der Mitte des Berliner Tiergartens stand, war ein wirklich stattlicher, eindrucksvoller Schneemann, der auf einer Schönheitskonkurrenz der Schneemänner bestimmt den ersten Preis erhalten hätte. Über zwei Meter groß, wohlbeleibt, mit starken Armen und Beinen, ein nicht unintelligentes Gesicht mit feurigen Kohlenaugen, einer künstlerischen Nase aus Pappe, die Hilde in einem Abfallkorb gefunden hatte, und einem mächtigen Krückstock aus einer Pappel – so stand er im Schnee und schien vieldeutig zu lächeln. Wüllner, der einen Teil der von Hilde gefundenen Pappdeckel nicht verwertet hatte, nahm eines der Stücke auf die Knie und dichtete aus dem Stegreif ein Gedicht, das er dem König der Schneemänner um den Hals hängte.
»Euer Majestät – wir empfehlen uns Eurer Gnade und wünschen Euer Majestät ein langes Leben.«
Hilde sagte es mit Pathos, beide verbeugten sich Hand in Hand und wanderten dann zurück in den Trubel der Großstadt. Die Leute aber, die um diese Zeit durch den Tiergarten gingen, blieben erstaunt vor diesem
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