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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Glauben Sie mir, es wäre ein Übel, wenn Deutschland den Krieg gewinnen würde! Sie nehmen doch nicht im Ernst an, ein gewonnener Krieg würde Deutschland im Inneren freier machen? Nein, die Kinder würden vom Mutterleib weggerissen und in eine Uniform gepreßt werden, das Leben spielte sich nur noch im militärischen Gleichschritt ab, jeder Beruf hätte seine Uniform, seinen Ritus, die Frau würde zu einer Gebärmaschine werden, die man bestraft, wenn sie weniger als fünf Kinder zur Welt bringt – ja, man trägt sich bei einer SS-Konferenz in Prag bereits mit dem Gedanken, den Männermangel nach dem Krieg dadurch zu überbrücken, daß jeder Mann gesetzlich zwei Frauen heiraten darf. Staatlich erlaubte Bigamie! Aber nur weil man nachwachsende Soldaten braucht, immer nur Soldaten. Ein Heer will man großziehen wie Dschingis-Khan oder Attila. Das soll dann die goldene Zeit werden nach dem gewonnenen Krieg! Nein, wir dürfen nicht siegen, es wäre Selbstmord! Hitler sagte einmal: ›Nach dem Krieg werde ich als noch fanatischerer Nationalsozialist zurückkehren …‹ Wissen Sie, was das bedeutet? In jeder Stadt ein Konzentrationslager, in jedem Dorf die Gestapo, in jedem Haus ein Spitzel, auf Schritt und Tritt der Anblick der schwarzen Uniform mit dem Totenkopf.«
    Friedrich Borgas hielt inne, als er jetzt auf die leichenblasse Hilde sah, die ihn mit großen Augen anstarrte. Wie ein Reh, mußte er denken, das im Schnee liegt und erfriert. Leise sagte er:
    »Ich glaube, ich habe Ihnen zuviel zugemutet. Es ist besser, wir gehen.«
    Er bezahlte die Zeche und führte Hilde hinaus in die frische kalte Schneeluft. Ein Stück noch begleitete er sie, ehe er sich verabschiedete.
    Als sie zu Hause in die Diele trat, kam Frau Lancke ihr entgegen und flüsterte:
    »Ein Mädchen war da: Erna Vollmer. BdM-Führerin. Sie behauptet, sie sei deine Freundin.«
    Hilde nickte.
    »Wir waren zusammen auf der Penne. Saßen nebeneinander im Lyzeum und schrieben die französischen Klassenarbeiten ab. Aber ich habe sie schon sehr lange nicht mehr gesehen.«
    Damit trat sie in das Herrenzimmer, das nach stillem Übereinkommen als Empfangszimmer diente.
    Erna Vollmer erhob sich und streckte Hilde lächelnd die Hand hin. Sie war groß und stramm, mit gut entwickelten Brüsten, breiten Hüften und einem gesund geröteten Gesicht, etwas zu dick in den Beinen, aber sonst in der ganzen Anlage ein ›arisches‹ Mädchen aus den Träumen des Führers. Sie hatte ihre BdM-Uniform an und die Haare streng nach hinten gekämmt.
    Hilde blieb erstaunt stehen.
    »Wie siehst du denn aus?« fragte sie und betrachtete das lebensfrische Gesicht und die stramme Figur. »Du warst doch immer die Schwächste in der Klasse … aber jetzt?«
    Stolz reckte Erna ihren Busen nach oben.
    »Das macht das frische Wetter, Sport, Bewegung und … ein bißchen Liebe.«
    »O je, dann müßte ich die dickste Frau der Welt werden – denn ich bin schrecklich verliebt.«
    »Ich weiß, ich weiß, ich hörte es bereits auf der Universität«, lächelte Erna und sah dabei auf einmal schrecklich dumm und einfältig aus. »Du bist verlobt mit dem berühmten Wüllner. Ein toller Fang. Wie hast du das bloß gemacht? Du warst ja sonst immer so scheu … aber hier muß es doch verdammt viel Raffinesse gekostet haben. Na ja, ich sage immer: Fünf Minuten stillhalten und man hat ein ganzes Leben gewonnen.«
    Wie ein Wasserfall kamen die Worte. Hilde war auf einmal ernüchtert von dem Wiedersehen, ja, sie wünschte sich, es hätte gar nicht stattgefunden.
    Still sagte sie:
    »Laß uns von etwas anderem reden … Das verstehst du doch nicht.«
    Aber Erna war nicht zu bremsen; sie glühte vor Interesse.
    »Du«, bohrte sie, »seid ihr zum Tiergarten gewandert oder an den Wannsee? Oder warst du bei ihm oben? Ach, das möchte ich gesehen haben, du hattest ja gar keine Ahnung. Hat es sehr weh getan? Bei mir hat Fritz gesagt, ich sei so gut gebaut, daß alles von allein ginge. Fritz ist SS-Mann, weißt du, und jetzt in Prag auf der Schule; er wird Offizier. Ein toller Kerl, sag' ich dir – fast so toll wie dein Wüllner. Hat deiner übrigens auch solchen Durst? Fritz hatte immer einen schrecklichen Brand, wenn er mit mir zusammen war, überhaupt wenn er etwas getan hatte. Er konnte dann Fässer leeren. Ob das mit der Speicheldrüse zusammenhängt …?«
    Erna mußte tief Luft holen. Hilde hatte sich in den Sessel fallen lassen und die ganze Flut der Worte über sich ergehen lassen. Als jetzt

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