Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Frau Lancke mit einer Kanne Ersatzkaffee hereintrat, wäre ihr Hilde am liebsten um den Hals gefallen, denn Erna machte gezwungenermaßen eine Pause, und dann konnte Hilde das Gespräch auf ein anderes Thema lenken:
    »Bist du schon lange in Berlin? Du warst doch zuletzt in München auf der Kunstakademie?«
    »Ich bin vom BdM versetzt worden. Ich soll einen Jungmädelring in Berlin übernehmen. Da ich zufällig einen alten Freund an der Uni traf, erfuhr ich deine Eroberung und deine Adresse und segelte sofort zu dir. Ich will dich nämlich mitnehmen.«
    »Ach, und wohin? Etwa zu deinem SS-Fritzen? Da geh nur allein hin.«
    Hilde goß Kaffee ein, denn Frau Lancke war gleich wieder hinausgegangen.
    »Alte Schraube!« meinte Erna, nachdem sie einen mißbilligenden Blick der Haushälterin aufgefangen hatte. »Gönnt der Jugend keinen Pflaumenbaum! Aber du sollst auch gar nicht zur SS, ich habe etwas viel Feineres und Selteneres für dich: Ich bin eingeladen nach Karinhall, zu Göring, eine ganz große Ausnahme – und ich darf eine Begleitperson mitbringen. Da dachte ich an dich.«
    »Nach Karinhall?« Hilde sah sinnend vor sich hin. Das war schon immer ihr Wunsch gewesen, einen Blick in Hermann Görings Märchenschloß zu werfen, dieses sogenannte Jagdhaus, und Göring einmal privat zu erleben, nicht immer nur als Reichsmarschall. Man hatte ja auch schon viel von den schönen großen Wäldern rings um Karinhall gelesen und gehört, von dem Wisent- und Büffelhof, den Elchen, den Mardern, Bibern und Fasanen … und nun bot sich eine einmalige Gelegenheit, dies tatsächlich zu besichtigen. Auch Heinz würde sich darüber freuen und ihren Bericht mit Spannung lesen.
    So sagte Hilde nach einer Viertelstunde, in der das Gespräch wieder auf das für Erna so beliebte Thema: ›Wie betört man Männer‹ zurückkehrte, zu. Und sie versprach, sich ganz schick zu machen, da, wie Erna betonte, eine Menge Offiziere anwesend seien, die etwas von Frauen verstünden und von denen man noch einige Kniffe lernen könnte. Dann verabschiedete sie sich und wippte ihren Busen zur Reichsjugendführung, wo ein Gebietsführer auf sie wartete, der sich erstaunlicherweise in sie verknallt hatte.
    Hilde kotzte das Ganze an, aber sie tat doch, was sie versprochen hatte. Sie zog ihr bestes Kleid an, puderte und schminkte sich diskret, tröpfelte etwas Eau de Cologne in die blonden Locken und fuhr mit der S-Bahn zu Ernas Wohnung in der Nähe der Reichsjugendführung.
    An dem, was an diesem Nachmittag in Karinhall geschah, war Frau Lancke hinterher wahnsinnig interessiert, aber Hilde erzählte nur, daß gar keine netten Offiziere zu Gast waren, sondern nur diplomatische Vertreter und andere hohe Herren, und daß es Bohnenkaffee gab mit echter Schlagsahne. Alles andere verschwieg sie, schrieb es jedoch nachts in ihr heimliches Tagebuch, das sie seit der Quarta des Lyzeums gewissenhaft führte. Es war unterdessen angewachsen auf drei schöne dicke Kladden. Auch heute kamen einige Seiten hinzu.
    Dann schrieb sie den Bericht nochmals säuberlich ab und steckte ihn in ein Kuvert für Heinz Wüllner, das sie in die Schublade des Schreibtisches legte. In dem Tagebuch stand:
    Samstag, den 20. Febr. 1944
    Empfang bei Hermann Göring in Karinhall. Was soll ich über dieses Fest berichten? Die Eindrücke stürmten so auf mich ein, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Zuerst der Empfang. Göring kam uns entgegen in seiner Jägeruniform, war sehr freundlich, tat sehr väterlich, hakte uns ein und stolzierte so in die Halle. Da erst merkte ich, warum er es tat: Wir wurden von allen Seiten fotografiert. Wenn sich ein Mann wie Göring mit jungen Mädchen zeigte, so ist das immer eine gute Propaganda.
    Dann begrüßte uns Frau Göring, die trotz des Winters ganz in Weiß ging und die kleine Edda an der Hand führte. Sie tat sehr geziert, aber betont freundlich, weil auch in der Halle einige Pressefotografen standen und die kleine Edda, die sich wie eine Filmdiva drehte, von allen Seiten, von oben und von unten knipsten.
    Ich verbeugte mich leicht und begrüßte Frau Göring mit ›gnädige Frau‹. Da wurde sie auf einmal sehr kühl und ließ mich stehen. Erstaunt sah ich mich nach Erna um, die im Hintergrund mit einem Botschafter flirtete; da faßte mich ein sympathischer älterer Herr am Arm und flüsterte mir zu:
    »Sie haben sich mit der ›Gnädigen Frau‹ alle Chancen verpatzt. Frau Göring möchte – das ist ihr Ehrgeiz – als einzige Frau

Weitere Kostenlose Bücher