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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kullerte einige Diamanten über den Tisch: ›Gemälde können verbrennen, Banken krachen, Aktien fallen – aber edle Steine behalten ihren Wert.‹ Woher er diese wertvollen Stücke hatte, das erzählte er nicht.
    Zum Abschied führte er uns an einen großen Tisch, auf dem viele kleine Figuren standen; es waren Elfenbeinschnitzereien. Sie alle stellten offensichtlich Göring dar in seinen verschiedenen Uniformen: als Reichsjägermeister, als Reichsmarschall, als Ministerpräsident, als SA-Mann, als Fliegeroffizier mit dem Pour le mérite und was weiß ich, was er alles für Titel führt und welche Spezialorden und Spezialuniformen er besitzt. Wir durften uns eine Figur als Andenken aussuchen. Ich nahm mir Göring als Reichsjägermeister.
    Dann öffneten sich die Tore von Karinhall und spien uns wieder aus. Ich war froh, dieser Burg des Wahnsinns entronnen zu sein. Mich überkam ein Schauder vor der Zukunft. Was wird passieren, fragte ich mich, wenn eines Tages vor aller Welt aufgedeckt wird, was in unserem Vaterland vor sich ging.
    Wie wird vor allem das deutsche Volk selbst reagieren, wenn es irgendwann einmal die Wahrheit erfährt – dieses Volk, das bisher blind den Worten traute, die von oben in die Masse hineingeträufelt wurden. Nur die stumpfe Blindheit der Menge, der abgetötete Wille nach dem Hinterfragen, die gewaltsam erstickte Sehnsucht nach moralischer Rechtfertigung des eigenen Tuns machten es den Bonzen an der Spitze möglich, hundert Millionen Menschen zu täuschen. Bonzen, denen der Größenwahn aus der Visage starrte – aber nur wenige merkten es.
    Es war wie immer in der Menschheitsgeschichte: Macht verführte zum Wahnsinn. Wer früher Maurer war und heute Regierungschef, dem mußte der Hut nicht mehr passen, den er vor 20 Jahren trug. Wer früher als Jesuit durchs Leben geisterte und heute als Propagandaminister fungierte, wer einst für Sektfirmen reiste und heute das Außenministerium führte, oder wer gar vom kleinen Landwirt zum Gewaltigen der SS, der Gestapo und zum Henker einer Kultur befördert wurde, der mußte über kurz oder lang in den Wahn verfallen, er sei selbst ein Auserwählter, ein politischer Messias.
    Trotz aller Erklärungsversuche blieb es dennoch ein Rätsel, wieso ein Kulturvolk wie das deutsche dies alles ertrug. Warum diese Blindheit? Sah es nicht den Abgrund? Spürte es nicht, daß sie zu Sklaven geworden waren – Nullen, nur Nullen. Deutschland ein Land der geistig Blinden und seelisch Tauben. Ein Reich, ein Führer und hundert Millionen Nullen, das Ende einer zweitausendjährigen Kulturentwicklung.
    Man müßte unentwegt heulen, wenn man überhaupt noch weinen könnte …
    Als Hilde Brandes wenige Tage später ihre Tagebuchblätter noch einmal durchlas, stellte sie mit Verwunderung fest, daß sie ganz im Stil von Heinz Wüllner geschrieben hatte. So, als habe er hinter ihr gestanden und den Text Satz für Satz diktiert. Die ganze Auffassung, das Fazit ihrer Gedanken, der wache Blick für die Hintergründe, das Entsetzen über die Geschehnisse – das alles sah so sehr nach Heinz aus, daß Hilde sich fragte, ob sie schon so völlig eins mit ihm geworden war, daß sie seine Gedanken dachte und seine Empfindungen in sich trug.
    Am Abend dieses Tages brachte die Nachmittagspost etwas verspätet – die Briefträgerin wohnte nebenan möbliert und belieferte die Straße deshalb immer erst nach Dienstschluß – zwei Briefe zu Hilde. Der eine trug die Aufschrift ›Feldpost‹ und war von Wüllners Hand geschrieben, der andere sah nüchtern und steif aus, trug die Schrift: ›Frei durch Ablösung Reich‹ – und kam vom Arbeitsamt.
    Hilde riß zuerst den letzten Brief auf, denn ihr Herz klopfte schneller vor Aufregung und der bangen Frage: Was will das Arbeitsamt? Das konnte doch nichts Gutes bedeuten.
    Ja, da stand es: Man könne jetzt im totalen Krieg nicht mehr dulden, daß ein Mädchen Psychologie studiere, da der Arbeitseinsatz die Erfassung aller Kräfte anstrebe. Man müsse sie deshalb mit den anderen Kolleginnen dienstverpflichten. Sie solle sich am Freitag bei den Bartel-Eisenwerken melden zwecks Einstellung als Betriebsassistentin. Zuvor müsse sie zum Vertrauensarzt des Arbeitsamtes kommen, Abtl. Gesundheitsdienst. Heil Hitler! Unterschrift!
    Hilde legte den Brief mit einem wütenden »Pah« beiseite und nahm vom Schreibtisch Wüllners den Elfenbeinbrieföffner. Behutsam, geradezu feierlich, öffnete sie das zweite Kuvert und zog den Brief des Geliebten

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