Heimaturlaub
Deutschlands ›Hohe Frau‹ genannt werden.«
»Hohe Frau?« fragte ich erstaunt. »Mit welcher Berechtigung?«
»Mit der gleichen, mit der Nero Rom niederbrannte.«
Da wußte ich, welche Luft hier wehte und daß der Größenwahn hier seine Heimat hatte. Im Gespräch mit dem freundlichen Herrn erfuhr ich dann noch mehr. Die Hohe Frau hatte einst den Wunsch, eine neue Toilette zum Ball zu bestellen. Sie fuhr also nach Berlin zu ihrem Atelier und wollte sich ein neues Kleid aussuchen. Da merkte sie, daß es kalt im Atelier war.
»Warum heizt ihr nicht, Kinder?« fragte sie und zog ihren Pelz wieder an.
»Es ist Kohlenknappheit, Hohe Frau«, antwortete die Inhaberin, »wir haben nichts mehr zum Brennen.«
»Und da soll ich das Kleid anprobieren?« entrüstete sich Frau Göring. »Das muten Sie mir zu? Soll ich eine Lungenentzündung bekommen? Schicken Sie mir die Auswahlen hinaus nach Karinhall.«
»So kühl ist es nicht, Hohe Frau«, wagte die Inhaberin zu widersprechen. »Meine Mädchen nähen in dieser Kühle zwölf Stunden und dürfen nicht frieren. Ich kann auch keine Mädchen auf zwei Tage entbehren.«
Frau Göring tat sehr beleidigt, stellte die Ministergattin heraus und befahl, daß die Kleider nach Karinhall gebracht würden.
So mußten eine Direktrice und zwei Mädchen alles mit schweren Koffern nach Karinhall schleppen, weil es der Hohen Frau zu kühl war, ein Kleid anzuprobieren, wo 25 Mädchen 12 Stunden still an einem Platz saßen und nähten.
Soweit diese Geschichte, die typisch ist für das Verhältnis der Nazigrößen zum Volk und das Gerede von der ›Volksgemeinschaft‹ und der angeblichen Verbundenheit unserer Regierenden zum ›Arbeiter der Faust‹ Lügen straft.
Die größte Überraschung in Karinhall kam nach dem Essen. Göring ›geleitete‹ uns persönlich zu seinen Büffeln und Elchen, zeigte einige Biber, die äußerst schwer waren, und führte uns dann zu einem großen Pavillon. Dieser Pavillon bestand aus einem Damenzimmer, einem Gesellschaftsraum und einem Boudoir mit eingebauten Spiegeln.
»Hier gibt Edda ihre Kinderfeste«, sagte Göring mit sichtbarem Stolz und schmunzelte. Die Herren lobten die väterliche Fürsorge des Ministers. Aber bedachten die Herren in diesem Augenblick, daß zur gleichen Zeit in Berlin und im Rheinland, in ganz Deutschland, Millionen Deutsche – Frauen, Greise und Kinder, werdende Mütter und gichtige, kranke, halbverhungerte Männer – hilflos auf der Straße standen, in der Gosse kampierten? Daß täglich und nächtlich viele Tausende aus ihren Wohnungen gebombt wurden, alles Hab und Gut verloren, vielleicht auch Gesundheit und Leben! Da gab es kein Mädchen von kaum sechs Jahren, das einen großen Pavillon hatte, Kinderfeste gab, zur persönlichen Bedienung über eine Dienerschaft von drei Mann und zwei Zofen verfügte.
Göring führte uns zurück nach Karinhall und trat in ein verdunkeltes Zimmer, dessen Hintergrund mit einem Vorhang verhängt war. Auf diesen Vorhang richtete er mehrere Scheinwerfer, so daß das Zimmer im Dunkeln, der Vorhang aber in blendendweißem Licht lag. Dann zog er den Vorhang beiseite. Wir staunten. Ein wundervolles Bild bot sich uns: Eine überlebensgroße Madonna saß auf einem goldenen Stuhl inmitten von Rosen, auf dem Arm das Jesuskind, und schaute träumerisch in die Ferne.
»Ein wundervolles Gemälde«, rief es von allen Seiten. Auch ich war von der Wirkung tief ergriffen.
Da wippte Göring stolz auf den Zehenspitzen und sagte mit seiner hellen, etwas fetten Stimme: »Blicken Sie bitte genauer hin, meine lieben Gäste. Kommt Ihnen nichts bekannt vor?«
Wir sahen genauer hin.
Waren es anfangs das Motiv und die Farbgestaltung gewesen, die uns in den Bann gezogen hatten, so erschreckte uns jetzt eine Entdeckung, die so unglaublich war, daß wir regelrecht zu Eis erstarrten: Die Madonna trug die Gesichtszüge der Hohen Frau, und das Jesuskind war Edda!
Eine bleierne Stille lag plötzlich über dem Raum. Göring nahm sie als Ergriffenheit hin und Ehrung, er blähte sich förmlich auf. Mir schwindelte. Es war gut, daß die Herren das Zimmer verließen und von dem kredenzten Rotwein reichlich Gebrauch machten.
Bevor wir verabschiedet wurden, nahm Göring uns nochmals beiseite und führte uns in seine Bibliothek, wo er aus einem Safe große Kästen entnahm, innen ausgelegt mit blauem oder rotem oder grünem Samt. Die Kästen waren bis zum Rand gefüllt mit Saphiren, Diamanten, Rubinen und Perlen. Göring
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