Heimaturlaub
Karnevalsjecken! Prost! Und ex, wenn ich bitten darf!«
Wüllner nickte. »Ex, Herr Oberst. Aber daß Sie Kölner sind, höre ich heute zum ersten Mal.«
»Ja, denkt ihr vielleicht, wir Kölner müßten immer ein Abbild des Hänneschentheaters sein? Nicht alles ist in Köln Karneval … es gibt dort auch Menschen, die etwas anderes können als ›Kornblumenblau‹ singen.«
Er trank den Becher mit einem Zug leer und lachte mit den Augen wie ein Knabe, der auf einem neuen Schaukelpferd sitzt. Dann nahm er ein Foto aus der Rocktasche und hielt es mit väterlichem Stolz Hilde hin:
»Sehen Sie, Fräulein Brandes, das ist meine Jüngste. Genauso ein Wildfang wie Sie! Genauso blond! Genauso schlank! Und verliebt ist sie auch! Ein Chemiker hat's ihr angetan. Mir gefällt der Bengel, wenn er nur nicht solch ein großer Windhund wäre.«
Hilde sah auf dem Bild ein Mädchen, das ihre Schwester hätte sein können. Ihr schien die junge Studentin auf den ersten Blick sympathisch. Zu Oberst Luchwitz gewandt, sagte sie:
»Den Windhund dürfen Sie Ihrem Schwiegersohn in spe nicht nachtragen. Ich brauche nur Heinz anzusehen … Und trotzdem … vielleicht gerade darum, habe ich den Lümmel … so lieb.«
Die letzten Worte sagte sie so leise, daß man sie kaum verstand und mehr ahnen mußte. Oberst Luchwitz hob den erneut gefüllten Becher:
»Wüllner, zum zweiten Mal am heutigen Tag: Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wahl! Prost!«
Überhaupt ertönte das Prost an diesem Nachmittag noch öfter. Als der Abend dämmerte, hatte Wüllner sowohl die Erlaubnis, Hilde als seine Assistentin mit an die Front zu nehmen, als auch einen kleinen Schwips.
Selbst Hilde, die nicht so tief in den Becher geblickt hatte wie die Männer, fühlte einen leichten Schwindel im Gehirn.
Plötzlich fuhren alle drei auf. Durch die Tür stürzte eine Ordonnanz, knallte die Hacken zusammen und keuchte:
»Alarm! Auf der ganzen Linie! Alarm! Panzerangriff frontal auf die Bunkerlinie!«
Wie von einer Tarantel gestochen, fuhr Luchwitz herum.
»Der Angriff. Da haben wir es! Jetzt heißt es ran an die Buletten!« Er eilte ohne Gruß hinaus.
Blaß sah Hilde zu Heinz hinüber.
»Was bedeutet das, Heinz?« Der Becher in ihrer Hand zitterte auf einmal.
Wüllner, den die Meldung der Ordonnanz wie ein Faustschlag traf, nahm ihr das Gefäß aus der Hand und drückte sie zurück in den Stuhl.
»Es heißt jetzt, vor allem den Kopf nicht verlieren«, sagte er ruhig und strich ihr über die Haare. »Die amerikanischen Armeen haben den Frontalangriff auf den Westwall begonnen. Der Durchstoß in die Kölner Bucht und in das Eifelvorland beginnt mit Richtung auf den Rhein. Wer aber den Rhein beherrscht, der kann die Adern Deutschlands abdrücken; wer das Ruhrgebiet besitzt, hält das Herz unseres Vaterlandes in den Händen. Es ist zu Ende mit Deutschland!«
Wüllner sagte es so fest, daß Hilde erschauerte. Sie klammerte sich an seinen Arm und sah zu ihm auf.
»Endgültig zu Ende? Der Krieg ist verloren?«
»Wenn der Durchbruch gelingt, steht der Untergang vor uns. Verloren aber war der Krieg schon seit Stalingrad, spürbar war es beim Durchbruch durch den Atlantikwall, das Finale war der Bombenanschlag am 20. Juli im Führerhauptquartier. Heute ist es nur die ausklingende Melodie, bis der Vorhang endgültig fällt.«
Die Tür wurde aufgerissen. Ein Oberleutnant, dem der rechte Arm fehlte, trat rasch ins Zimmer.
»Ist hier Heinz Wüllner?«
Heinz fuhr herum:
»Willi!« schrie er auf. »Du hier an der Front?«
Dann lagen sich die beiden Freunde in den Armen.
»Altes Haus!« rief Heinz kurz darauf. »Mann, heute kann ich dir einen alten Wunsch erfüllen und dir meine Braut vorstellen.« Zu Hilde gewandt, sagte er: »Das ist Wilhelm von Stohr, der Freund …«
»… der sein bißchen Leben Ihrem Verlobten verdankt«, fiel Stohr ein und begrüßte Hilde herzlich. »Aber daß Sie Nachrichtenhelferin sind, hat mir Heinz nicht erzählt.«
»Ich habe mich heimlich dazu gemeldet, um ihn zu überraschen. Heute plötzlich bin ich angekommen. Jetzt soll ich mit ihm als seine Assistentin …«
Heinz winkte ab. Ernst sagte er:
»Das ist jetzt überholt. Willi ist wieder da, er wird mir assistieren. Und dann die Offensive … ich kann es nun nicht mehr verantworten, dich mitzunehmen.«
»Aber ich verantworte es!«
»Du stehst unter meinem Kommando! Ich trage …«
»Du trägst gar nichts. Ich bin volljährig und selbst verantwortlich für meine Handlungen. Oberst
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