Heimkehr am Morgen (German Edition)
sich auf den Park zu. Während sie so dastand, fühlte sie sich selbst beobachtet. Sie hob die Schultern, wie um eine unsichtbare Hand abzuschütteln, doch das Gefühl blieb bestehen.
Als sie schließlich nach links blickte, bemerkte sie Cole, der mit verschränkten Armen am Türrahmen seiner Schmiede lehnte und der vorbeiströmenden Menge zusah. Ihre Aufmerksamkeit verlagerte sich. Die Menschen schienen zu verblassen, die Musik und der Lärm klangen gedämpft – es gab nichts und niemanden mehr außer Cole Braddock. Er trug kein Hemd, nur die schwere Lederschürze, die von der Brust bis zu den Knien reichte. An Schultern und Armen zeichneten sich Muskeln ab, die vom Schwingen des Schmiedehammers und von vielen Jahren schwerer körperlicher Arbeit zeugten. Sein gutaussehendes Gesicht war rußverschmiert und glänzte vor Schweiß, als käme er geradewegs von seinem Amboss.
Er sah ihr voll ins Gesicht, und sie fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, doch das Gefühl, beobachtet zu werden, blieb. Augen, die sie musterten.
Er war Amys Zukünftiger, rief sie sich ins Gedächtnis. Er hatte Jessica betrogen. Er hatte sich als wankelmütig und treulos erwiesen …
»… so froh, dass ich dich hier treffe, Jessica. Ich hatte schon darauf gehofft.«
Jessica zuckte bei der Nennung ihres Namens zusammen. Als sie sich umwandte, stand sie Adam Jacobsen gegenüber. »Bitte? Oh, Adam! Ja, wir haben uns lang nicht gesehen.«
Er war größer geworden, als sie gedacht hätte. Die breite Stirn und das volle Gesicht wurden durch seine großen Augen mit den dunklen Wimpern wettgemacht. Vor allem um die Kieferpartie und das Kinn herum jedoch ähnelte er noch seinem Kindergesicht. Seine Nase war schmal und spitz geworden wie ein Pfeil und schien auf seinen Mund zu deuten. Er trug seinen Sonntagsanzug und hatte ein Klemmbrett unter dem Arm. Um den Lärm der Menge um sie herum zu übertönen, beugte er sich näher zu ihr. »Ich freue mich, dass du Bürgermeister Cooksons Angebot angenommen hast, eine Weile bei uns zu bleiben.«
»Ich habe gehört, dass du ein gutes Wort für mich eingelegt hast«, erwiderte sie und fühlte sich sowohl angesichts dieser Tatsache als auch ihm gegenüber unbehaglich. Warum sollte gerade er sich dafür einsetzen, dass sie in Powell Springs blieb? Als sie noch Teenager gewesen waren, hatte er sie einmal mit Cole im hohen Gras am Bach überrascht und war sofort zu seinem Vater gerannt, um es ihm brühwarm zu erzählen. Der wiederum hatte ihren Vater unterrichtet. Der alte Jacobsen hatte eine ganze Sonntagspredigt über die Sünde der Fleischeslust gehalten und über die Gefahren, die drohten, wenn man junge Leute ohne Aufsicht ließ.
Nicht lang danach hatte Jessicas Vater sie aufs College geschickt, damit sie auf andere Gedanken kam.
»Du warst einfach die richtige Kandidatin dafür, hier die ärztliche Versorgung zu übernehmen, bis Dr. Pearson kommt.«
Sie hob eine Augenbraue und lächelte leicht. »Ich würde eher sagen, ich war die
einzige
Kandidatin.«
Errötend fummelte er an dem Klemmbrett herum. »Nun ja, das stimmt. Aber du kennst doch hier fast jeden. Ich hielt es für eine gute Idee.«
Sie sah, dass das Blatt Papier auf dem Klemmbrett ein Einwohnerverzeichnis enthielt. Einige von denen, die sie bei der Parade heute Morgen gesehen hatte, trugen einen Haken hinterdem Namen. Zum Klemmbrett nickend fragte sie: »Du machst dir Notizen?«
»Ach – das.« Er drehte die Liste so, dass sie sie nicht mehr lesen konnte. »Ich will nur auf dem Laufenden bleiben, das heißt sichergehen, dass alles klappt wie geplant. Das Komitee, zu dem ja auch deine Schwester gehört, hat so hart dafür gearbeitet.«
Genau, dachte sie. Noch immer der gleiche kleine Schnüffler wie früher, nur noch schlimmer. Ein aufgeblasener, wichtigtuerischer Schnüffler für die American Protective League. Sie fragte sich, ob ihr Name wohl auch auf der Liste stand.
Auf der anderen Straßenseite entdeckte Jessica Granny Mae, die ihr einen finsteren Blick zuwarf, bevor sie wieder in ihrem Café verschwand.
»Nun, ich sehe lieber zu, dass ich in den Park komme«, sagte Adam. »Wir haben heute noch den ganzen Tag zu tun.« Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. »Ich würde dich wirklich gern wiedersehen, Jessica. Vielleicht sogar in der Kirche. Schön, dass du wieder da bist.«
Zielstrebig marschierte er davon. Als sie einen Blick zurück auf die Tür der Schmiede warf, war Cole
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