Heimkehr der Vorfahren
fehl am Platz dieser Ton war? Wie ungeschickt, sie daran zu erinnern, daß sie ihm gesagt hatte, wie sehr er ihr damals imponierte. Was war nur in ihn gefahren? Er war schon immer etwas selbstgefällig – aber so wie jetzt war er nie gewesen. Oder hatte sie es früher nicht bemerkt?
»Ich werde ihnen beweisen, messerscharf, verlaß dich darauf, daß die Schuld nicht bei dir liegt, daß du dein Möglichstes getan hast«, fuhr er fort. »Daß du wissenschaftlich herangegangen bist und gar nicht anders handeln konntest. Du hast Pionierarbeit geleistet, hier liegt doch echtes Neuland!«
Vena blickte ihn erstaunt an. Wissenschaft, Pionierarbeit – und das von Raigers Lippen?
»Dann meinst du, ich solle hierbleiben, durchhalten?« fragte sie.
»Aber nein! Wer sagt das? Du bist Kybernetikerin, ich sorge dafür, daß du berufen wirst, an mein Institut, wenn du willst!« »Und die Betreuung der Expedition?«
»Da finden sich andere, Vena, das ist doch nur ein Zwischenspiel. Es gibt bessere Arbeit für dich, wichtigere, ernst zu nehmende.«
Vena war grenzenlos enttäuscht. »So also siehst du das? Noch immer so!«
»Aber weshalb denn? Ich werde dir einen Abgang verschaffen, wie du ihn verdienst, bestimmt! Man wird deine Leistungen zu würdigen wissen…«
»Komm herunter vom Sockel«, sagte sie trocken. »Eine Fürsprache, von der du selbst nicht überzeugt bist. Du siehst mich gescheitert und bist froh, daß es so kam, daß du recht behieltest – ich kenne dich doch! Du sprächest allenfalls für mich, weil du mich wiederhaben möchtest, nicht weil du gegen ein Unrecht auftreten mußt. Romain, das muß ich dir sagen, trat für mich ein, weil er von meiner Sache überzeugt ist, weil er glaubt, meiner Arbeit werde die Anerkennung versagt. Er macht Gefühle nicht zum Tauschobjekt. Und ich bin überzeugt, nur aus Sympathie wäre er nie für mich eingetreten – eben weil er meine Arbeit und mich ernst nimmt. Das ist der Unterschied! Begreifst du, daß seine ehrliche Meinung für mich wertvoller ist? Als du kamst, spielte ich mit dem Gedanken, hier aufzustecken, mit dir zu gehen, um Ruhe zu finden – aber was für eine Ruhe wäre das? Sie kostete mich die Selbstachtung!«
»Aber Vena!« Seine Heftigkeit war ungekünstelt. »So meinte ich’s nicht. Ich liebe dich doch, da muß ich doch… Ich meine von innen heraus…«
»Schon gut, Raiger«, wehrte sie ab, »lassen wir’s, es führt zu nichts. Jetzt nicht mehr. Erzähle mir lieber, was deine Arbeit macht.«
»Sie ist abgeschlossen, ich werde sie dem öffentlichen Forum der physikalischen Disziplin vorlegen und ein Großexperiment beantragen«, erwiderte er. Es klang lustlos, fast gleichgültig.
»Dazu gratuliere ich dir«, sagte Vena herzlich. »Das ist ein großer Erfolg.«
»Danke«, sagte er. »Auf diesem Gebiet ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Hier läge wirklich eine Aufgabe für dich, komm mit…« Vena schwieg.
»Interessiert es dich nicht mehr?« fragte er ein wenig ungläubig.
»Schon, aber jetzt weiß ich mit Sicherheit: Mein Platz ist hier.«
»Willst du meine Arbeit nicht erst einmal lesen, ehe du dich entscheidest?«
»Du kannst sie hierlassen, wenn du sie für die öffentliche Diskussion nicht brauchst.«
»Ich gebe dir die Zweitschrift.« Er nahm ein dickes Bündel aus der Tasche und reichte es ihr.
Sie blätterte spielerisch darin. Auf den Seiten kam ihr Raigers vertraute Exaktheit entgegen. Klar gegliedert, mit einem Sinn für Übersichtlichkeit. Aber ihr schien, alles wäre auf Wirkung bedacht. Und daß er eine Zweitschrift mitgebracht hatte, ließ sie ahnen, daß er auch seine Arbeit einzuspannen gedachte, um sie zurückzugewinnen. Das aber zeigte ihr, daß er noch immer nicht begriffen hatte, was zwischen ihnen stand. Sollte sie es ihm sagen? Obwohl sie von vornherein sicher war, daß er sie nicht verstehen würde? Sie war es müde, noch länger über diese Dinge zu sprechen. Was war eine Würdigung wert, die man erbitten oder erzwingen mußte! Romain war anders. Und nun stieg Romain vor ihr auf – vertrauter als je und ohne die Zweifel der letzten Stunden. Jetzt wußte sie: Romain könnte sie mißverstehen, weil ihm ihr Leben und seine Voraussetzungen und Zusammenhänge noch nicht vertraut waren, niemals aber müßte sie an seiner Ehrlichkeit und an seiner Selbstlosigkeit zweifeln, nie würde er um persönlicher Vorteile willen heucheln oder, wie Raiger, sein Redetalent dafür mißbrauchen.
Romain mußte lernen. Raiger aber mußte erzogen werden.
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