Heimkehr der Vorfahren
umwerben muß? Glauben Sie, sonst bliebe die überwiegende Mehrheit der Partner letztlich doch beieinander?«
»Sie sind ein Kauz, Maro Lohming«, sagte Raiger kopfschüttelnd. »Bei dieser Ansicht noch allein zu sein.«
Maro nahm es ihm nicht übel. »Vielleicht deshalb?« sagte er ruhig. »Soll ich mich auf Experimente einlassen? Es gibt doch auch eine Verantwortung für den Partner, nicht wahr? Mögen heute die Grenzen weiter gezogen sein als damals, darf man bei einem Menschen die Vorstellung wecken, man bliebe ein Leben mit ihm zusammen, darf man ihn veranlassen, sich darauf einzustellen – und dabei innerlich den Vorbehalt machen: Mal sehen, wie lange es hält?«
»Und Sie fanden diesen Partner nie?«
»Ich fand sogar zwei Frauen, für die ich dieses Wagnis unternommen hätte, aber sie wollten es mit mir nicht auf sich nehmen.«
»Vena?« fragte Raiger impulsiv. Er entschuldigte sich sofort.
Maro winkte ab. »Vena!« sagte er, führte seine Tasse zum Mund, trank, blickte Raiger über den Tassenrand in die Augen und setzte schließlich die Tasse ab. »Ich möchte, daß sie glücklich wird – sie liebt Romain!«
Langsam trank Raiger seine Tasse aus und starrte dabei vor sich hin. Maro spürte, wie er mit sich kämpfte, wie er aufkommende Erbitterung niederrang. Es mochte wohl auch Schmerz dabei sein, schließlich war ihm Vena nicht gleichgültig. Maro rührte sich nicht, gab sich den Anschein gelassener Ruhe. Indessen wartete er gespannt, zu welchem Resultat Raiger kommen würde.
»Meine Lage ist also hoffnungslos?« fragte Raiger bedrückt und blickte endlich auf.
Maro nickte nur. Raiger hatte sich also doch noch Illusionen gemacht. Ob er nicht vertrug, daß ihm ein anderer vorgezogen wurde, war er eitel? Oder schmerzte es ihn wirklich?
»Was sagte Vena dazu, daß ich den Heimkehrern… Ich meine, daß ich eine falsche Interpretation…«
»Sie weiß es noch nicht«, erwiderte Maro. »Sie ahnt nicht, weshalb Romain ging, aber sie wird es erfahren, wenn er zurückkommt.«
»Wann kommt er?«
»Ich weiß, wo er ist. Ich werde es Vena sagen, sie wird ihn holen. Besser allerdings wäre, sie erführe es von Ihnen.«
»Weshalb?« Raiger blickte ihn überrascht an.
»Ich möchte, daß sie die Achtung vor Ihnen behält.«
»Sie möchten das?« Raigers Miene zeigte den Ausdruck grenzenloser Verwunderung. »Gerade Sie? Obwohl ich der erste Grund war, daß Ihre Hoffnungen unerfüllt…«
»Es geht hier nicht um gekränkte Eigenliebe«, unterbrach ihn Maro schroff. »Es geht ausschließlich um Vena! Muß man einen Menschen verachten, den man einstmals liebte, dann bleibt das Gefühl zurück, sich weggeworfen zu haben. Das möchte ich ihr ersparen.«
Raiger richtete sich auf. Sein Gesicht wurde abweisend. »Ich bedaure«, sagte er trotzig, »es ist mir gleich, was sie von mir denkt! Sie verachtet mich so und so. Ich bin der Mann, der…«
»… Fehler berichtigt?« fragte Maro schnell dazwischen.
»Ach was, ich kann das nicht!« erwiderte Raiger.
»Wie Sie wollen.« Maro erhob sich.
XXI
Auf dem Hang ertönte der Warnpfiff eines Murmeltieres, die Bienen summten von Blüte zu Blüte, und das niedrige Gehölz raschelte im Wind. Hochgebirgssommer. Pala lächelte. Da mühte sich der Mensch, die Welt nach seinen Vorstellungen zu formen, hier oben aber, zweitausend Meter hoch, im Reich der Steinböcke und Murmeltiere, war es wie eh und je: still, urwüchsig, romantisch – und der Mensch schützte die Naturoasen vor seiner eigenen Betriebsamkeit.
Es tat gut, einmal mit sich allein durch die Stille zu schlendern. Nirgendwo, schien ihr, vermochte man besser mit seinen Gedanken fertig zu werden. Lag es an den nackten Steinwänden, brauchte der Mensch hin und wieder das Gefühl, klein zu sein, um den eigenen Kummer auf ein erträgliches Maß zu reduzieren?
Sie jedenfalls brauchte die Ichverlorenheit, wenn sie ihrer Gefühle Herr werden wollte. Jawohl, sie hatte Kummer. Er ging von einem graumelierten Besitzjäger aus, der da unten, im tiefer gelegenen Vortal, lag, mit sich und der Menschheit, vor allem aber mit ihr, uneins geworden war und nur einen Wunsch zu kennen schien: Gehirn, Augen, Ohren und Mund zu verleugnen, damit er nicht denken, sehen, hören oder gar sprechen mußte.
Schlimm war vor allem, daß sie sich an seinem Zustand schuldig fühlte, daß es ihr einfach nicht gelang, sich hinter ihrem Recht, hinter ihrer Würde zu verschanzen. Jedem Zeitgenossen hätte sie bei viel geringerem Anlaß die kalte Schulter gezeigt:
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