Heimkehr in den Palast der Liebe
unersättlichen Augen der Kameras richteten sich aus allen Richtungen auf sie, als die Moderatorin auf sie zutrat.
"Guten Abend, Prinzessin", begann sie, während sich alle setzten und der Applaus verebbte. "Innerhalb weniger Monate sind Sie von den tiefsten Tiefen zu den höchsten Höhen aufgestiegen. Sie lebten in einem Flüchtlingslager mitten in der australischen Wüste, ein Waisenkind, halb verhungert und als Junge verkleidet. Jetzt sind Sie eine Prinzessin und gehören zu einer der bekanntesten Königsfamilien des Mittleren Ostens. Sie leben in einem Palast, tragen fantastischen Schmuck, reisen mit Leibwächtern im Privatjet. Wenn Sie wollten, könnten Sie einfach vergessen, dass es so etwas wie Armut und Hunger jemals gegeben hat. Aber Sie haben sich gegen das Vergessen entschieden."
Die Moderatorin lächelte, doch Shakira blieb ernst. Die Erinnerung war zu lebendig. "Dazu brauchte es keine Entscheidung", erwiderte sie. "Ich könnte das niemals vergessen. Ich hatte kein Zuhause, keinen Namen, keine Familie, und ich dachte, so etwas würde es niemals für mich geben. Jetzt habe ich all das, aber wie könnte ich vergessen, wie es ist, über nichts zu verfügen? Wie könnte ich all die vergessen, die immer noch in einem Lager sind und alles Lebensnotwenige entbehren müssen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Nein, ich kann nicht vergessen", sagte sie noch einmal.
"Wir werden darauf gleich zu sprechen kommen. Aber jetzt erzählen Sie uns bitte, wie das war, so viele Jahre in Flüchtlingslagern zu leben. Es muss schrecklich gewesen sein – unter primitivsten Bedingungen, ohne genug zu essen zu haben, und oft auch unter erbärmlichen hygienischen Verhältnissen."
"Das Schlimmste ist nicht der Mangel an Wasser oder Nahrung, auch nicht der Schmutz", erklärte Shakira ernst. "Das Schlimmste ist, keinen Namen zu haben, keine Vergangenheit. Das Schlimmste ist, wenn die Leute mit Ihnen reden, als wären Sie nichts, weil Sie nichts besitzen. Wenn einem großes Unrecht widerfahren ist, zum Beispiel eingesperrt zu werden, anstatt Hilfe zu bekommen und behandelt zu werden, als sei man selbst derjenige, der Unrecht getan hat. Das ist das Schlimmste. Dann glaubt man wirklich, man sei tatsächlich nichts wert."
"Wir haben einen Archivfilm über eines der Lager, in denen Sie lebten", sagte die Moderatorin. Im Publikum wurde es ganz still, als der Film begann. "Erkennen Sie es?"
Eine deprimierende Zeltlandschaft war auf dem Monitor zu sehen. Shakira schluckte schwer. Sie hatte den Film natürlich schon gesehen – Gazi al Hamzeh hatte dafür gesorgt, dass es keine Überraschungen geben würde. Aber es war trotzdem schwer zu ertragen.
"Ja, das ist das erste Lager, in dem ich lebte, in Parvan. Zuerst war es gar nicht so schlimm, aber nach der Invasion wurden wir immer wieder von den Kaljuks bombardiert. Das Küchengebäude haben sie allerdings nie getroffen – da ist es –, bis zum Schluss, kurz bevor das Lager geschlossen wurde. Dorthin haben wir uns immer geflüchtet, wenn die Flugzeuge kamen. Und als sie es schließlich doch trafen, starben sehr viele Menschen, auch meine Stiefmutter und meine Stiefgeschwister."
Ein Raunen ging durchs Publikum. Kurz darauf war der Film zu Ende.
"Und danach waren Sie völlig allein? Wie alt waren Sie damals?"
"Ich weiß nicht. Ungefähr zwölf." Shakiras Schultern bewegten sich, als ob sie ein unangenehmes Gefühl abschütteln müsste.
"Und Sie lebten in verschiedenen Lagern, immer ganz allein auf sich gestellt. Und da haben Sie so getan, als wären Sie ein Junge."
"Ich hatte ja schon als Junge gelebt, seit ich zu meinen Stiefeltern gekommen bin. Nach ihrem Tod beschloss ich, so weiterzumachen. Es war schließlich gefährlich genug, allein zu sein, und erst recht als Mädchen. Jeder weiß, dass man schutzlos ist", gab Shakira zögernd zu.
"Und Sie haben wie lange als Junge gelebt?"
Sie hob die Schultern. "Ich erinnere mich nicht genau. Es ist besser, nicht die Geburtstage zu zählen."
"Prinzessin, Sie haben uns gesagt, was das Schlimmste am Lagerleben war. Woran erinnern Sie sich sonst noch?"
"An die Politiker, die zu Besuch kommen und Dinge versprechen und Lügen erzählen", erwiderte sie. Das Publikum klatschte.
Die Moderatorin lächelte. "Und außerdem?"
"Wasser", sagte Shakira ernst. "Nicht im letzten Lager in Australien, aber in den anderen gab es manchmal entsetzliche Wassernot. Dann träumt man jede Nacht von Wasser. Man träumt, jemand hat eine Quelle gegraben … man
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