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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die stärkste Währung. Eine einzige »Lucky Strike« kostete auf dem Schwarzmarkt sieben Mark und fünfzig – preiswerter waren Zigaretten für junge blonde Frauen, von den amerikanischen Soldaten »Frollein« oder »Veronika« gerufen und mit Schokolade und Nylonstrümpfen bedacht. Die »Frolleins« mit den feuerroten Lippen lehnten kein sättigendes Angebot ab. Ihre Moral war ebenso flexibel wie ihre Hüften.
    Allerdings waren im Herbst 1945 für die Frauen in Deutschland – auch für diejenigen, die zwölf Jahre lang ihrem Führer Treue bis in den Tod geschworen hatten – weder das Vaterland noch die deutsche Ehre ein Thema. Deutschlands Frauen kämpften nur noch gegen den Hunger. Aus Eicheln kochten sie Kaffee, aus Brennnesseln Suppe und aus den Ebereschen, die in Parks und am Straßenrand wuchsen, machten sie Marmelade – mit Süßstoff, Quellmittel und künstlichem Zitronenaroma. Mütter riffelten alte Pullover auf, um für ihre Kinder Winterkleidung zu stricken, aus Gardinen schneiderten sie Röcke und aus Tischdecken Kommunionskleider. Für die Töchter im Backfischalter strickten sie aus Zuckersäcken weiße Kniestrümpfe, und aus den Anzügen ihrer gefallenen Ehemänner nähten sie Konfirmationsanzüge für ihre Söhne. Sie weinten nur, wenn sie keiner sah, und beim Schlangestehen sagten sie, dass »es im Krieg längst nicht so schlimm war wie jetzt«. In der Küche wurden Steckrüben zu Rosinen, Konfekt und Hustensaft. Es gab Steckrübenpuffer, Steckrübenkaffee, Steckrübentabak und Rübenbonbons. Zu neuer Ehre kam das alte Kinderlied »Die Rüben, die Rüben, die haben mich vertrieben. Hätt die Mutter Fleisch gekocht, dann wäre ich geblieben.«
    In den Zügen standen kriegsversehrte Hamsterer und feine ältere Damen auf den Puffern, die Mutigsten klammerten sich auf den Dächern fest. Mit ihren nutzlos gewordenen Schätzen fuhren hungernde Städter aufs Land, um Tafelsilber, Teppiche und Leuchter, ihren Schmuck, ihren Stolz und die Tradition von Generationen gegen Milch, Speck, Eier, Gemüse und Butter einzutauschen. Geschichten von Bauern, die ihre Kuhställe mit Perserteppichen auslegten und ihr Bier aus Kristallrömern tranken, machten die Runde. Aus Stahlhelmen wurden Töpfe und Siebe, aus Drahtresten Sicherheitsnadeln und aus den Befehlsgebern der Kriegszeit jammernde Normalverbraucher mit verdrossenem Gesicht.
    Die Sieger saßen in Jeeps und winkten von offenen Armeefahrzeugen herunter. Sie trugen ihr Haar bürstenkurz, waren wohlgenährt und sahen aus wie Schulbuben. Ihre Zigaretten rauchten sie meistens nur zur Hälfe, den Rest warfen sie auf die Straße und lachten sehr, wenn die Besiegten in die Knie gingen und sich um die Beute balgten. Amerikas bestaunte Soldaten nannten die bunten Heftchen, die sie immerzu lasen, Comics. Deutschlands Kindern brachten sie auch das lange Wort »chewing gum« und das Wörtchen »fuck« bei. Noch mehr als von den Blondinen im Feindesland waren die jungen Löwen von den Preisen begeistert. »Für einen Mann mit Dollar in der Tasche sind sie unvorstellbar niedrig. Mit einer Stange Camel kann ich mir ganz Deutschland kaufen. Ich hab schon damit begonnen«, schrieben Tom, Sam und Jim nach Hause.
    Für die Frankfurter und ebenso im übrigen Deutschland waren Strom und Gas rationiert, lebenswichtige Medikamente nicht zu bekommen. Es gab auch nicht genug Krankenhausbetten, zu wenig Ärzte und in den Apotheken leere Schränke und Regale. Die Bänke und Kinderschaukeln aus Parks und Grünanlagen waren längst zu Kleinholz gehackt. Trümmergrundstücke – lebensgefährlich und ständiger Anlass zu Müttersorge – waren die beliebtesten Spielplätze. Zur Schule mussten die Kinder nicht. Selbst jene Schulen, die den Bombenkrieg überstanden hatten, waren noch geschlossen – die Schulbücher waren nicht geeignet, um die deutsche Jugend zu der von den Amerikanern befohlenen Freiheit, Toleranz und Demokratie zu erziehen. Vor allem gab es zu wenig Lehrerinnen und erst recht kaum Lehrer, die nicht mit vollem Einsatz dem Hitler-Regime gedient hatten. Nun waren sie »Belastete« und somit untauglich für den Schuldienst.
    Männer und Frauen waren zur Trümmerbeseitigung abkommandiert. Kinder mit Hungerödemen wühlten in Mülltonnen nach Essensresten. Die meisten der Überlebenskämpfer in kurzen Hosen waren ohne Vater aufgewachsen und fühlten sich als Beschützer von Mutter und Geschwistern. Sie waren Meister im Stehlen und Tauschen und scheuten weder Verbote noch

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