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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die vier großen Zimmer, sie legten sich jubelnd in die trockene Badewanne, die wegen Mangel an Heizstoff vorerst nicht benutzt werden konnte, spielten Nachlaufen um den breiten schwarzen Ofen im Wohnzimmer und klopften aufmerksam die Veilchentapete ab, die Schmand noch im letzten Kriegsjahr verklebt hatte. »Hier wachsen Zauberblumen an der Wand«, meldete Sophie. »Die können alles. Auch Brot backen.«
    »Nein, da steht nur geschrieben, dass auf den Teufel kein Verlass ist«, wusste ihr Vater.
    »Ist das was Gutes, Papa?«
    »Was sehr Gutes, Madamchen. Wenn die anderen gemeint sind.«
    Auch der riesige weiße Fleck an der Wohnzimmerwand faszinierte Sophie. Über dem Schmand’schen Sofa mit selbst gehäkelter Überdecke hatte das Hitlerbild gehangen, ein Prachtstück, in Öl gemalt und in Nussbaum gerahmt. Unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner war der Hausherr allerdings bestürzt aufgebrochen und hatte im Schutz einer mondlosen Nacht die Führerhuldigung unter einer deutschen Eiche in einer deutschen Grünanlage begraben.
    »Was ist denn das für ein hässlicher Fleck an der Wand?«, fragte Hans, als ihm Schmand, wohltuend unsicher, die Wohnungsschlüssel überbrachte.
    »Da musste ich nachbessern«, murmelte der entthronte Herrscher des Hauses Thüringer Straße 11.
    »Und ich Trottel hab die ganzen Jahre nicht gemerkt, dass Sie ein Weltverbesserer sind, Herr Schmand.«
    Auch Fanny genoss den Umzug. Keine Arbeit war ihr zu schwer und keine Mühe zu groß, um die Spuren der Schmands zu beseitigen. Wenn sie mit Anna Fenster putzte, den Boden schrubbte oder mit dem Teppichklopfer auf die Möbel einschlug, bis der Staub durchs Zimmer wirbelte, wirkte sie gelöst und zufrieden, manchmal gar übermütig und ausgelassen. Während sie die Hüllen der Sofakissen bügelte, brachte sie Sophie ein Lied bei, das Anna staunend und gerührt als die skurrile Küchenballade erkannte, die Josepha immer beim Bohnenputzen und Kartoffelschälen gesungen hatte. Erinnerte die neue Umgebung Fanny an ihre Kindheit? Holten die großen, hellen Räume verschleierte Bilder zurück? Anna konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihr das überhaupt wünschen sollte. Wie konnte ein Kind mit Fannys Vergangenheit den Weg zurückgehen, ohne für immer zu zerbrechen?
    Bereits am darauffolgenden Tag erkundigte sich Fanny nach dem Haus in der Rothschildallee 9. Sie sagte die Adresse mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie dort noch wohnen, wollte wissen, ob sie dort geboren sei, ob es ein Esszimmer mit einem großen Tisch gegeben hätte und ob im Vorgarten Flieder gewachsen wäre. Und gelbe Rosen? Sie fragte nach Clara, die sie noch nie erwähnt hatte, schließlich nach Claudette. Zu Annas Verblüffung kannte sie noch den Namen vom kleinen Foxterrier ihrer Cousine. »Snipper war ulkig«, sagte sie, »wir haben über ihn gelacht. Richtig gelacht. Snipper, tanz!«
    Anna lachte auch. In diesem Moment war sie sicher, dass es Fanny guttat, so lange Verschüttetes wiederzufinden. Am Nachmittag jedoch – Fanny war dabei, die Regale der Speisekammer mit dem Schrankpapier aus der alten Wohnung auszulegen – hörte Anna sie angstvoll schreien: »Das stimmt nicht, das darf doch nicht sein.« Unmittelbar darauf kam Fanny aus der Speisekammer. Sie war bleich und schwankte und drückte ihr Taschentuch auf den Mund. Dann rannte sie würgend zur Toilette.
    Anna stand erstarrt hinter der Wohnzimmergardine, die sie gerade zum Kürzen abgesteckt hatte. Jedes quälende Keuchen, das von der Toilette kam, zählte sie mit. Sie hörte ihr Herz klopfen, war beschämt wie ein Kind, das beim Lauschen an der Tür ertappt wird. »Nein«, bat sie so leise, dass sie sich kaum sprechen hörte, »heute noch nicht.«
    Fanny kam zurück ins Wohnzimmer, das durchnässte Taschentuch in der Hand. Anna ging auf sie zu, streckte die Arme aus, wollte das Kind, das ihre Tochter war, an sich drücken und ihm sagen, dass auch sie ihren Vater verloren hatte und von Fannys Schmerz wusste, aber ihre Kehle gab die Worte der Liebe nicht frei. Nur die törichtste aller Fragen vermochte sie zu stellen. »Ist dir nicht gut?«, druckste sie.
    »Doch, doch«, sagte Fanny. »Mir tränen nur die Augen, ich weiß auch nicht warum.«
    Bis ihre Kindheit ermordet wurde, war Fanny temperamentvoll, keck und nie um eine Antwort verlegen gewesen. Nun, mit vierzehn, war sie verschlossen, schweigsam und scheu. Von Fremden angesprochen zu werden war ihr ein Gräuel. Wege, die ihr nicht vertraut

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