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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Rosinen aus dem Karton, Trockensuppen in Tüten und vier Tafeln Schokolade. Auf drei Packungen waren Kuchen abgebildet, alle mit rosa Zuckerguss überzogen und mit riesigen Walnüssen dekoriert. »Nur Milch, Eier und Butter zufügen«, übersetzte Betsy beim Lesen der Rezepte. »Na, die haben Nerven.«
    »Schau mal!«, sagte Anna. Sie packte eine Dose Erdnüsse aus. »Es wird immer spannender.«
    Auf dem Deckel klebte ein brauner Briefumschlag, adressiert an Frau Betsy Sternberg. Sie erkannte die Schrift nicht, und doch setzte ihr Herz sofort an, aus dem Körper zu springen. Obwohl ihre Hände zitterten, gelang es ihr, vier Seiten Luftpostpapier aus dem Kuvert zu holen. Sie las nur die Anrede, dann fiel ihr der Brief aus der Hand.
    »Er lebt«, weinte sie. »Er lebt, Fanny. Er ist in Nürnberg.«
    Sophie sah, dass auch ihre Mutter und Fanny weinten und dass ihr Vater auf dem Küchenschemel saß und sich nicht mehr bewegte. Seine praktische Tochter glaubte, er wäre gestorben. Sie nahm den Kaugummi aus ihrem Mund, steckte das Kügelchen sorgsam in ihre Schürzentasche und holte die erste der vier Tafeln Schokolade vom Küchentisch.

8
DIE IMPONDERABILIEN
DES LEBENS
    April 1946
    Der Zivilangestellte der amerikanischen Besatzungsstreitkräfte Friedrich Feuereisen wurde bei seinem Arbeitgeber als staatenloser Dolmetscher mit »guten Sprachkenntnissen in Englisch und Niederländisch, fließenden Deutschkenntnissen in Wort und Schrift und abgeschlossenem Jurastudium« geführt. Seit Januar 1946 lebte dieser Dolmetscher in einer vom Krieg geschundenen Straße in der Nähe der Nürnberger Frauenkirche. Die Stadt war im Bombenkrieg bis ins Mark getroffen worden; seine Bürger und auch die in die Stadt geströmten Ostflüchtlinge sprachen bei Gelegenheiten, die sie als noch niederdrückender als die üblichen Tiefpunkte ihres Daseins in Not und Hoffnungslosigkeit empfanden, von einem »unmenschlichen Racheakt der Sieger an unschuldigen Zivilisten«.
    Das Haus der Kriegerwitwe von Hochfeld, in dem die US-Armee Friedrich Feuereisen zwangseinquartiert hatte, war der Zerstörung entkommen – die auffälligen Einschüsse an den Außenmauern hatten keine Menschenleben gekostet. Sie stammten von ausgelassenen jungen Helden aus Texas, die im August 1945 den Abwurf der Atombomben über Nagasaki und Hiroshima mit altem Bocksbeutel und noch älterem französischen Cognac gefeiert und Frau von Hochfelds kriegsverschontes Haus als Zielscheibe für ihre mitternächtlichen Schießübungen genutzt hatten; der Bocksbeutel in den bauchigen Flaschen, die sie selbst im leeren Zustand als »souvenirs from fucking Germany« schätzten, war den texanischen Hünen bei der Erstürmung einer stadtbekannten Weinstube in die Hände gefallen, der Cognac nebst einer wertvollen Sammlung bayerischer Bierseidel und ebenso kostbarer Feuerwaffen aus dem 18. Jahrhundert bei der Beschlagnahmung einer Villa in Fürth.
    Der staatenlose Zivilist Feuereisen lebte, wie er seiner Schwiegermutter in dem Brief mitteilte, der die beiden nach den Jahren der Todesangst und erloschener Hoffnungen wieder zusammenführte, »auf fürstlichem Fuß, und jeden Morgen fragt mich Gott: ›Fritz, wo nimmst du bloß die Chuzpe her?‹ Mein neuer Wohlstand und der Gewinn an gesellschaftlicher Reputation sind ausschließlich dem Umstand zu verdanken, dass ich berechtigt bin, im sogenannten PX einzukaufen, dem Paradies für amerikanische Soldaten und Armeebedienstete. Hier kann man alles bekommen, was wir auch in Holland seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Einschließlich Selbstvertrauen und Lebensmut. Auch der Inhalt meines Pakets an Dich und Anna stammt aus diesem unglaublichen Teil Amerikas. Es kann sich höchstens um ein paar Wochen handeln, da macht mir meine adelige Wirtin deswegen einen Heiratsantrag. Nebbich!«
    Bei ihrer Schwägerin pries Frau von Hochfeld ihren Mieter als »das einzige Geschenk, das der Himmel mir je hat zukommen lassen«. Sie tat ihr Bestes, damit sich Fritz in ihrer Wohnung und vor allem in ihrer Gegenwart »wie zu Hause« fühlte. Behaftet mit den üblichen Gedächtnislücken, die zu dieser Zeit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu eigen waren, entging ihr, dass Menschen wie Fritz nirgendwo mehr zu Hause waren und dass sie das Wort »Heimat« als besonders schmerzlich empfanden.
    Von dem Tag an, da die Wehrmacht in Holland einmarschiert war, bis zur Befreiung der Alliierten im Jahr 1944 hatte Fritz Feuereisen um sein Leben gefürchtet und keine

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