Heimkehr in Die Rothschildallee
»Für Ihren Doktor«, erklärte sie, »haben Sie gearbeitet. Darauf haben Sie Anspruch.«
Fritz imponierte, dass Adelheid von Hochfeld ihr Los nicht bejammerte. Schon gar nicht versuchte sie, ihre Vergangenheit zu retuschieren, und mit der Gegenwart arrangierte sie sich geschickt und klug. Durch die Umstände war sie gezwungen, ihr gepflegtes Heim mit Flüchtlingen aus dem Osten zu teilen, die sie in der Zeit der überschaubaren Wertfeststellungen allenfalls als »Leute« bezeichnet hätte. In der herrschaftlichen Wohnung logierte nun die Witwe eines Spenglers aus Oppeln. Laut wohnungsamtlicher Auflage stand der Frau ein Zimmer mit »täglicher Küchenbenutzung zu und ein Mal in der Woche die Benutzung des Bads mit Bezug von heißem Wasser, soweit dies möglich ist«. Frau Konietzkys harte oberschlesische Stimme empfand ihre Wirtin wider Willen als Kränkung für bayerische Ohren, die achtjährigen Zwillinge Konietzky als Zumutung für gottesfürchtige Menschen. Die Kinder hatten beide Keuchhusten, vergaßen grundsätzlich, in der Toilette die Wasserspülung zu ziehen, wachten nachts schreiend auf und brüllten markerschütternd »Die Polen sind da«.
Den »kleinen Salon« mit einer künstlerisch bemerkenswerten Sitzgruppe aus den Deutschen Werkstätten hatte Frau von Hochfeld an den ehemaligen Oberlehrer Hugo Winter und seine Ehefrau Edeltraut abtreten müssen. Dem Paar stand ebenfalls Bad- und Küchenbenutzung zu. Die Winters waren aus Königsberg nach Nürnberg geflüchtet; obgleich ihre Vermieterin sie korrekt behandelte, ließen sie immer wieder durchblicken, dass sie Bayern für einen noch nicht zivilisierten Teil des Deutschen Reichs und seine Bewohner für sprachlich retardiert und unbegründet arrogant hielten.
Anders als viele ihrer Bekannten und beide Schwägerinnen hatte Adelheid von Hochfeld ihren Adelstitel nicht erheiraten müssen; ihre Familie war seit Jahrhunderten in der Würzburger Gegend ansässig und hatte durch den Krieg nichts verloren außer ihren Glauben an Führer und Vaterland. Dass sich ausgerechnet Frau von Hochfelds Wohnverhältnisse so sehr zum Nachteil veränderten, hing nicht allein mit dem Umstand zusammen, dass die Offiziellen für Wohnraumbewirtschaftung schonungslos mit der besitzenden Klasse verfuhren. Bei der Witwe von Hochfeld hatte sowohl das städtische Wohnungsamt zugegriffen als auch das amerikanische Besatzungsamt. Anders als der Jurist Friedrich Feuereisen, der schon in der Mittelstufe des humanistischen Lessinggymnasiums in Frankfurt Objektivität und Gerechtigkeit als Maß der Dinge zu schätzen gelernt hatte, empfanden die Amerikaner Sippenhaft durchaus als legitim im Umgang mit den Besiegten. Generalmajor Victor Franz Ludwig von Hochfeld, hochdekoriert im Feldzug gegen Russland und dann in der letzten Kriegsphase in der Normandie nach einem Luftangriff auf sein Dienstfahrzeug ums Leben gekommen, war Parteimitglied der allerersten Stunde gewesen. Im Zivilleben Architekt und ein Stadtplaner von überlokalem Renommee, hatte von Hochfeld in seiner Vaterstadt viel dazu beigetragen, um den Erfolg des Marksteine setzenden Nürnberger Reichsparteitags vom Jahr 1935 zu sichern.
Es blieb nicht aus, dass nach dem Krieg gerade dieser Einsatz seiner Witwe angelastet wurde. Dass ihr von den Amerikanern ein Mieter jüdischen Glaubens zugewiesen wurde – nach nur knapp einer Woche war sie sich über dessen Konfessionszugehörigkeit im Klaren –, empfand sie keineswegs als eine ironische Pointe des Schicksals. Ganz im Gegensatz zu dem, was ihr ihre Freunde hämisch unterstellten, wertete sie die Einquartierung des »hochgebildeten Mannes aus Amsterdam« als Vertrauensbeweis »unserer werten Herren Befreier«. Sie sei, ließ sie ihre grinsenden Verwandten und Bekannten wissen, »weiß Gott mehr als zufrieden«.
Dr. Feuereisen gefiel Frau von Hochfeld unabhängig von allen politischen Überlegungen und den zeitüblichen Anstrengungen, der Demokratie Reverenz zu erweisen. Fritzens Augen, die Frau von Hochfeld in ihrem Tagebuch poetisch als »dichternah und weltverloren« bezeichnete, rührten sie. Seine Zurückhaltung und seine Höflichkeit taten ihr gut. Nie ließ er sie fühlen, dass er zu den Siegern zählte und sie zu den Besiegten. Dass Fritz Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen war, imponierte ihr. »Ein ganz hohes Tier«, berichtete sie ihrer Schwägerin Sieglinde, die nicht allein zu Neid, sondern auch zu unglaublichen Gehässigkeiten neigte. »So einer wird nicht
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