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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Hoffnung mehr für das seiner Familie gehabt. Bereits im Dezember 1945 hatte er durch das Rote Kreuz erfahren, dass seine Frau, seine Tochter, sein Sohn, seine Mutter und seine Schwiegereltern aus Frankfurt deportiert worden waren. Obwohl er sich fortwährend Vorwürfe machte, er hätte nicht die Charakterstärke, das Land der Mörder zu meiden, hatte er sich sofort entschlossen, das Angebot anzunehmen, als Dolmetscher nach Nürnberg zu gehen. »Ein Zufallstreffer«, berichtete er Betsy, »aber ich empfand ihn als einen Fingerzeig des Himmels.«
    Zum ersten Mal seit dem Tag seiner Emigration hatte der ehemalige Rechtsanwalt und Notar in Nürnberg ein regelmäßiges Einkommen und eine Unterkunft, deren er sich nicht schämte. Er bewohnte das größte Zimmer in Frau von Hochfelds Wohnung. Es war ein großzügig geschnittener, mit dem Kunstgeschmack der Hochgebildeten eingerichteter Raum, der noch im Hungerwinter 1945/46 vom Selbstbewusstsein des deutschen Adels zeugte. Die cremefarbenen Tapeten hatten eine feine Samtstruktur, die Bücherschränke waren mit Klassikerausgaben und Kunstbänden bestückt, die Ledersessel erinnerten an die Stühle in elitären englischen Clubs. An der Wand hingen in Goldrahmen gefasste Kopien von Adolph Menzels »Flötenkonzert in Sanssouci« und Böcklins »Toteninsel«. Fritz kannte beide Bilder; sie hatten im Wohnzimmer seiner Eltern gehangen. Zu seiner Verblüffung erzählte er ihr, als sei dies selbstverständlich für einen Mann mit seiner Vergangenheit, von der Begeisterung seiner Mutter für Böcklin. Obwohl Frau von Hochfeld zu diesem Zeitpunkt lediglich Fritzens Namen kannte und durch die Einweisung wusste, dass er »bei den Amis« in Diensten stand, hatte sie mehr verstanden, als er ihr hatte mitteilen wollen. »Entschuldigung«, sagte er verlegen, »ich rede sonst nicht so viel.«
    »Ich finde es gut, wenn Menschen miteinander ins Gespräch kommen«, beruhigte ihn Frau von Hochfeld.
    Genau wie es seine Mutter getan hatte, bezeichnete sie ihre Gardinen als »Portieren«. Auch die Art, wie sie eine silberne Schale zurechtrückte und dass in einem Biedermeierschrank silberne Messerbänkchen standen, setzten Erinnerungen frei.
    »Fehlt Ihnen was?«, fragte sie besorgt.
    »Nur Haltung.«
    »Wie können Sie so was sagen? Die meisten Leute können das Wort noch nicht einmal mehr buchstabieren.«
    Obwohl Fritz es zunächst nicht wahrhaben wollte, hatte er nach seinem Einzug bei Frau von Hochfeld sehr bald das Gefühl, er wäre trotz allem, was die Nazis ihm angetan hatten, in seine alte Welt zurückgekehrt. Er schämte sich seiner Wehmut, und noch mehr beschämte ihn seine Zufriedenheit. Am meisten beunruhigte ihn jedoch seine Sympathie für eine Frau, deren Mann nicht nur für Hitlerdeutschland gekämpft, sondern auch daran geglaubt hatte. Frau Adelheid scheute sich nicht, die Wahrheit zuzugeben. Fritz, immer noch geübt im objektiven Denken, das sein Berufsbild so lange bestimmt hatte, sträubte sich indes, der Witwe die Sünden ihres Gemahls anzulasten.
    Adelheid von Hochfeld hatte die tiefe, melodische Stimme, die ihn seit jeher bei Frauen erregt hatte, und sie hatte Brüste, denen die Mangelernährung wenig von ihrer Festigkeit und nichts von der Anziehungskraft auf einen Mann in noch guten Jahren genommen hatte. Ihre Vornamen – nebst Adelheid noch Beatrix, Alexandra und Louisa-Marie – kamen Fritz vor, als entstammten sie einem Drama von Kleist, noch in seiner Studentenzeit sein Lieblingsdichter.
    Frau Adelheid türmte ihr üppiges blondes Haar zur Hochfrisur und trug eine moosgrüne Trachtenjacke, die Fritz an die Wanderungen mit seinen Eltern in Oberbayern erinnerte. Die kinderlose Witwe war in Fritzens Alter, wirkte allerdings jünger, als sie war, und sehr viel jünger, als er sich fühlte. Sie war groß und vollschlank und dies, obgleich sie zu den »Normalverbrauchern« zählte, von denen es in allen vier Zonen hieß, ihre Rationen wären zu knapp zum Leben und zu groß zum Sterben. Frauen mit einem Hang zur Üppigkeit hatten Fritz schon früh fasziniert; dass sich sein Geschmack so wenig verändert hatte, machte ihn nachdenklich.
    Noch mehr als ihre äußere Erscheinung gefiel Fritz, dass Frau Adelheid es nie versäumte, ihn mit seinem Doktortitel anzureden. Kurz nach seinem Einzug sagte er ihr, dies sei er durch seine Zeit in Holland absolut nicht mehr gewohnt, sie widersprach ihm jedoch mit dem Charme, von dem er fand, er sei beredter Ausdruck von Bildung und Kultur.

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