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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Kriegers, den Mattotaupa mit einem Pfeil getötet hatte.
    Seitdem Hyazinthe Schonkas Frau geworden war, hatte Uinonah keine Freundin mehr.
    Uinonah verließ das Zelt und ging, ohne sich zu verbergen, quer durch das Zeltlager hindurch. Sie lief in die Prärie hinaus. Sie fand die Fährte des Falben, die sie schon am Abend gesehen hatte, und versuchte dieser zu folgen, soweit sie sie erkennen konnte. Sie wußte nicht, ob ihr Bruder sehr weit hinausgeritten war. Aber sie kannte seine Gewohnheiten als Knabe. Wenn ihn etwas stark beschäftigte und er nachdenken wollte, ging er gern ein Stück in die Wildnis hinaus, setzte sich auf eine Anhöhe, von der er rings alles beobachten konnte, und kaute an einem Grashalm. Wenn Harka Steinhart Nachtauge, den sie jetzt Stein mit Hörnern nannten, in der Nähe war, entdeckte er seine Schwester in der nächtlichen Prärie sicher früher als sie ihn. Sie wartete darauf, daß er plötzlich neben ihr auftauchen werde, ja, sie hoffte es. Von Schritt zu Schritt wurde ihre Hoffnung unsicherer, aber auch heftiger. Endlich verlor sie die Fährte des Falben in der Dunkelheit und blieb stehen. Ihr Herz klopfte. Ihre Hände waren feucht und kalt. Ein paarmal öffnete sie den Mund und setzte zu einem Ruf an, schloß die Lippen aber wieder.
    Endlich gab sie ein Zeichen, das die Geschwister als Kinder miteinander geübt hatten. Sie heulte wie ein Kojot. Wenn Harkas Ohren noch so scharf waren wie früher, mußte er erkennen, daß dieser Kojotenlaut ein Menschenlaut war.
    Aber vielleicht wollte er die Schwester gar nicht sprechen.
    Nein, wahrscheinlich wollte er nicht mit Uinonah sprechen, nach allem, was geschehen war.
    Uinonah gab ihr Zeichen kein zweites Mal. Ihre Lippen zuckten. Aber sie weinte nicht. Als ihr Bruder das Zelt verlassen hatte, um dem verbannten Vater zu folgen, hatte sie heimlich geweint, aber seitdem nicht mehr.
    Sie glaubte sich dareinzufinden, daß alles vergeblich sei, aber dennoch brächte sie es nicht über sich, wieder zum Zelt zurückzugehen.
    Sie blieb stehen, wenn auch alle ihre Gedanken aufhörten. Dann geschah es doch, worauf sie nicht mehr zu warten gewagt hatte. Ihr Bruder, der sie um mehr als Haupteslänge überragte, stand neben ihr.
    »Was suchst du?« fragte er in der Sprache der Dakota, und obgleich sie ihn zum letztenmal als Knabe hatte sprechen hören, meinte sie auch jetzt seine Stimme wiederzuerkennen.
    »Dich suche ich.«
    Die Antwort kam nicht gleich. Als sie kam, war der Ton so, als ob etwas weggeworfen würde. »Wer hat dich geschickt?«
    Uinonahs Mienen zogen sich zusammen, und sie erwiderte hochfahrend: »Niemand.«
    »Was willst du von mir? Ich habe unseren Bruder Harpstennah getötet. Durch Schwarzhaut Kraushaar wirst du es erfahren haben.«
    Uinonah schwieg und versuchte sich zu sammeln. Die Zeit rann dahin, und vielleicht ging der Bruder einfach weg. Er stand bei ihr in einer Haltung, als wollte er dieses Wiedersehen nicht lange ausdehnen.
    »Du willst, daß ich wieder gehe«, sagte sie schließlich, und die Kehle tat ihr beim Sprechen weh, als ob ihr jemand einen Splitter hineingestoßen habe. »Vergiß nicht, daß wir die Kinder eines Vaters …, aber auch die Kinder einer Mutter sind. Ich gehe jetzt.« Sie wandte sich um und lief zurück, als ob sie gehetzt würde.
    Als sie das Zelt wieder erreicht hatte, hineingeschlüpft war und in ihren Decken lag, preßte sie das Gesicht auf die Hände, und der Mund stand ihr offen wie von einem Schrei ohne Laut.
    Als der Morgen graute, war Stein mit Hörnern noch nicht zu seinem Zelte zurückgekehrt. Sein Blutsbruder Donner vom Berge war schon wach, hatte sich aber noch nicht erhoben, sondern beobachtete seine Schwester Sitopanaki. Das Mädchen war als erste und noch früher als sonst aufgestanden. Sie brachte die Zweige in der Feuerstelle zum Glimmen. In dem Schimmer der Glut betrachtete Donner vom Berge das Gesicht der Schwester. Sie hatte sich über Nacht verändert. Aber er konnte nicht verstehen, was in ihren Zügen spielte, Weichheit, Schwermut, Bitterkeit, Stolz, oder was war es? Da alle anderen noch in tiefem Schlafe ruhten, stand Donner vom Berge lautlos auf und kam zum Feuer heran. Er bemerkte, daß sein Blutsbruder nicht anwesend war. Er schaute zum Zeltausgang hinaus und vermißte auch den Falben. Als er zurückkam, begegnete ihm ein Blick der Schwester, der nicht für ihn bestimmt gewesen war. Er glaubte plötzlich zu begreifen, was sie beschäftigte, und sagte lächelnd: »Stein mit Hörnern

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