Heimlich verliebt in einen Millionaer
zärtlicher Sehnsucht griff sie nach der silbernen Haarbürste. DreiÃig Striche jeden Abend â so hielt sie es schon seit Jahren. In ihrer Fantasie war Corin längst ihr Liebhaber. Schön dumm von ihr, wo er doch völlig unerreichbar war. Die beiden Männer, mit denen sie geschlafen hatte, zählten nicht. Beide waren verliebte Kommilitonen gewesen, die sie überaus zart behandelt hatten. Ihr selbst war es nur auf die Erfahrung angekommen, aber sie hatte dabei nicht viel gelernt. Ihr war sogar der Verdacht gekommen, sie könne sich einem Mann nicht völlig hingeben. War es bei ihrer Mutter nicht so gewesen? Sie verstand Leila nicht. Umso wichtiger war es, dass sie sich Klarheit darüber verschaffte, wer sie selbst eigentlich war.
Miranda hob den Kopf und sah in den kunstvoll geschnitzten Spiegel, der über dem Frisiertisch hing, und erblickte einen Mann, der sie anstarrte. Vor Schreck stockte ihr der Atem. Eiskalte Schauer liefen ihr über den Rücken. Sie wollte schreien, brachte aber keinen Laut heraus.
Der Fremde war seltsam angezogen. Er schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen und ein Karnevalskostüm zu tragen. Der Karneval von Venedig war berühmt. Doch irgendetwas stimmte nicht.
Lass keine Panik aufkommen!
Miranda rührte sich nicht. Woher kam der Typ? Von der kleinen Terrasse vor dem Schlafzimmer? Sie hatte die Tür nur angelehnt, bevor sie ins Bad gegangen war, um zu duschen.
Abrupt drehte sich Miranda um. âWas tun Sie hier?â, schrie sie. Angriff schien die beste Verteidigung zu sein, obwohl ihr ein unbestimmtes Gefühl sagte, dass ihr von dem Unbekannten keine Gefahr drohte. Dann wurde ihr bewusst, dass sie allein war.
Ganz allein.
Ein Geist! durchfuhr es sie. Eine Erscheinung. Langsam dämmerte ihr die Wahrheit über den Besucher. Sie hatte nichts getan, um ihn herbeizurufen, doch das blasse, schmale Gesicht mit dem schwarzen Bart und das schulterlange Haar haftete ihr im Gedächtnis. Das schwarze Gewand hatte sie an die Soutane eines Priesters erinnert. Dazu passten auch das glänzende Medaillon auf der Brust und die fromm gefalteten Hände.
Die Umrisse der Gestalt waren nicht verschwommen, sondern klar und deutlich zu erkennen gewesen. Jemand von drüben hatte all seine Energie eingesetzt, um für einen Augenblick in dieser Welt zu erscheinen. Dafür sprachen auch die Kälte, die sich plötzlich um Miranda her ausbreitete, und die bedrückende Stille, die im ganzen Zimmer herrschte. Nur die Kristalltropfen des kostbaren Kronleuchters schlugen leise klirrend aneinander. Irgendetwas hatte sie in Bewegung versetzt.
Miranda bemühte sich vergebens, für das alles eine Erklärung zu finden. Nur eins war ihr klar: Schlafen konnte sie hier nicht mehr. Wenn es dem Geist nun einfiel, wiederzukommen und sich vielleicht an ihr Bett zu setzen? Wäre sie morgens gefragt worden, ob sie an Gespenster glaube, hätte sie nur gelacht. Jetzt war ihr danach überhaupt nicht mehr zumute. Stattdessen fielen ihr Hamlets Worte aus Shakespeares gleichnamigem Drama ein:
Es gibt mehr Dingâ im Himmel und auf Erden
Als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.
5. KAPITEL
Corin nahm fast augenblicklich den Hörer ab. âHallo!â
âIch bin esâ, antwortete Miranda mit schwacher Stimme. âKannst du schnell in meine Suite kommen?â
âGeht es dir nicht gut?â, fragte er scharf. âWas ist passiert?â
âDas erzähle ich dir, wenn du hier bist.â
Miranda sehnte sich nach seiner Umarmung. Sie brauchte ihn jetzt mehr denn je, obwohl die Erscheinung längst verschwunden war. Woher nahmen Geister ihre Kleidung? Gab es da, wo sie herkamen, so etwas wie einen Kostümverleih? Und wieso blieb das Medaillon auf der Brust der Erscheinung haften und fiel nicht herunter?
Ihre Nerven waren überreizt, aber sie konnte noch klar denken. Sie war nicht verrückt. Das Geschehen hatte lange genug gedauert, um jeden Zweifel auszuschlieÃen. Miranda wusste, was sie gesehen hatte.
Als Corin wenig später hereinkam, fühlte sie sich wie erlöst. Er trug Jeans und ein weiÃes T-Shirt. Sein dunkles Haar war zerzaust.
âUm Himmels willen, Miranda!â, rief er. âDu bist ja ganz blass. Was ist passiert? Hat dich etwas erschreckt?â Er sah sich rasch um, als suche er etwas, und schloss sie dann in seine Arme. âDir geschieht nichts. Ich bin bei
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