Heimlich
»John und ich werden wegen eines Medikamentendiebstahls auf einem Flugzeugträger verhört. Sie haben sich uns vorgeknöpft wegen Johnnys Sucht. Es ist ganz, ganz furchtbar.«
»Kummer und schreckliche Sorgen allenthalben«, schrieb sie im November ’45, drei Monate nach Ende des Krieges. Das war ihr letzter Kontakt für fast sechs Jahre.
Will und Johnny trafen sich zufällig Ende ’49 in Chicago. Johnny sah furchtbar aus: Er war ausgemergelt und seine Haut entsetzlich grau. Will bemühte sich, ihn zu trösten und erzählte ihm vom »Orden zum heimlichen Herzen«, dem er angehörte. Johnny schien interessiert, wurde aber nervös, als Will ausführlicher wurde.
John DeVries wurde 1950 in Milwaukee ermordet. Sein Mörder wurde nie gefunden. Als Will von Johnnys Ermordung in der Zeitung las, versuchte er, mit Marcella Kontakt aufzunehmen. Es klappte nicht - er schickte Telegramme an ihre letzte ihm bekannte Adresse, die aber zurückkamen mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt verzogen«. Er rief jeden William Harris an, den er im Telefonbuch von Los Angeles fand, umsonst. Schließlich fuhr er nach Milwaukee und sprach mit den beiden Kriminalbeamten, die mit der Untersuchung des Mordfalls betraut waren.
Johnny war im Morgengrauen auf dem Rasen eines Parks aufgefunden worden, der in der Nähe des Armenviertels von Milwaukee lag. Der Mörder hatte mehrfach mit einem Fleischmesser auf ihn eingestochen. Johnny war als Morphiumsüchtiger und Gelegenheitshändler bekannt. Sein Tod wies offensichtlich ins Drogenmilieu. Die Kriminalbeamten Kraus und Lutz waren aufmerksam und freundlich zu Will, aber wenig geneigt, ihre Untersuchungen auszudehnen. Obwohl sie versprachen, Will auf dem laufenden zu halten, fuhr Will besorgt und mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück nach Tunnel City.
Er sollte Marcella noch ein letztes Mal sehen. Sie klopfte im Sommer 1951 an seine Tür. Es war das aufwühlendste Ereignis seines Lebens. Marcella hatte abgenommen und war beinahe hysterisch. Sie redeten über Johns Tod, und sie schluchzte in Wills Armen. Will erzählte Marcella vom Kloster »Zum heimlichen Herzen«, und sie schien zuzuhören und für kurze Zeit Trost zu finden.
Marcella trank sich in jener Nacht in den Schlaf, sie gab auf Wills Wohnzimmersofa den Geist auf. Als Will früh am nächsten Morgen aufwachte, war sie weg. Sie hatte einen Zettel hinterlassen: »Danke. Ich werde über das, was du gesagt hast, nachdenken. Ich werde suchen, was ich suchen muß. Ich beneide dich um deinen Frieden. Ich werde versuchen, jeden nur möglichen Frieden zu finden.«
Will Berglund kam meiner einzigen Frage zuvor: »Ich werde diese Polizisten in Milwaukee anrufen. Ich werde ihnen sagen, daß Sie kommen.«
Ich nickte dem Farmer, dem Liebhaber, dem Geistsucher zu. Er schien meine knappe Kopfbewegung als Absolution aufzufassen, und ein langsames Tränenrinnsal lief aus seinen Augen.
Es war fünf Uhr morgens. Ich ging zurück ins Badger Hotel. Mein Zimmer war durchsucht worden - Zeitschriften waren umgedreht und mein Bett zerzaust worden. Ich überprüfte den Inhalt meines Koffers. Alles war da, aber meine Pistole war entladen worden. Ich packte, ging die Treppe hinunter und durch die Lobby. Ein paar Frühaufsteher sahen mich neugierig und feindselig an. Ich ging die Hauptstraße entlang und fühlte mich ehrfürchtig und gedemütigt - aber auch mächtig; man hatte mir das Wunder auf einem goldenen Teller serviert, und jetzt hing es von mir ab, alles in Ordnung zu bringen.
20
Ich brauchte zwei Stunden nach Milwaukee. Der Wisconsin Dell Highway war leer, als ich an kleinen Städten vorbeifuhr und durch tiefgrünes Weideland. Ich war seit vierundzwanzig Stunden wach, hatte Streifzüge durch die Geschichte der letzten fünfzig Jahre gemacht und war kein bißchen müde. Ich konnte nur an die Geschichte denken, die in Milwaukee auf mich wartete, und daran, wie ich meine ganzen Kenntnisse zusammenfügen sollte. Kenntnisse, die nur ich hatte.
Ich dachte an die beiden Maate John DeVries und Eddie Engels. Hatten sie einander im Marinehospital in Long Beach gekannt? Hatte Eddie von dort Verbindung zu Marcella? War da die Kette der tödlichen Ereignisse entstanden, die 1950 ausgebrochen waren und sich bis in diesen Sommer fortsetzten?
Auf der Blue Mound Road fuhr ich in Milwaukee ein - ein widersinniger Name für eine smogverpestete, vierspurige Autobahn - und sagte zu mir selbst: denk nicht.
Milwaukee, das waren roter Backstein, grauer Backstein,
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