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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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weißer Backstein, Fabrikrauch, endlose Reihen kleiner weißer Häuser mit kleinen Vorgärten in Wisconsin-Grün, alle von der Brise geprägt, die vom Lake Michigan her einschwebte. Ich parkte im Untergeschoß des Greyhound-Busbahnhofs an der Wells Street, dann rasierte ich mich und zog mich in dem riesigen Waschraum um.
    Ich betrachtete mein Bild im Spiegel über dem Waschbecken. Ich beschloß, daß ich Anthropologe war, bestens geeignet, um in den Ruinen zerstörter Leben zu stochern. Nach dieser Erkenntnis wand ich mich durch einen Korridor, der voller Penner war, zu einem Telefon, rief das Fräulein vom Amt an und sagte: »Bitte die Polizei.«

    Die Detectives Kraus und Lutz waren immer noch Partner und arbeiteten im achten Bezirk. Ihr Revier lag an der Farwell Avenue, ein paar Blocks vom schlammigen, abfallreichen Milwaukee River entfernt. Die alte, dreigeschossige Polizeiwache war aus rotem Backstein und lag eingeklemmt zwischen einer Wurstfabrik und einer Konfessionsschule. Ich parkte davor und ging rein, dann spürte ich, wie mich die Nostalgie in den Würgegriff nahm: Das war mal mein Leben gewesen.
    Ich zeigte dem Wachhabenden meine getürkte Visitenkarte, die ihn nicht zu beeindrucken schien, und fragte nach der Kripo-Abteilung. Verdutzt sagte er: »Driter Stock« und wies auf den nach Lysol riechenden Appellraum.
    Ich nahm in nahezu völliger Dunkelheit zwei Stufen gleichzeitig und kam in einen Korridor, der in hellem Schulbus-Gelb gestrichen war. Die Wand entlang war ein langer Pfeil gemalt, der die Worte unterstrich: »Detective Division: Die Besten von MilwaukeesBesten«. Ich folgte dem Pfeil in ein Zimmer, das mit Schreibtischen und nicht zueinander passenden Stühlen vollgestopft war. Die Nostalgie packte mich noch fester: Das war es, wonach ich mich einmal gesehnt hatte.
    Zwei Männer waren in dem Raum und berieten sich über den Tisch hinweg unter einem Ventilator, der groß an der Decke hing. Die Männer waren blond und stattlich und trugen die gleichen auffälligen, handgearbeiteten Schulterhalfter, in denen je eine 45er Automatik mit Perlmuttgriff steckte. Sie schauten auf, als sie meine Schritte hörten, und lächelten identisch.
    Ich wußte, daß ich das Publikum für einen Polizei-Sketch sein würde, also hob ich die Hände in gespielter Kapitulation und sagte: »Hallo Partner, ich bin ein Freund.«
    »Hätten nie gedacht, daß Sie keiner sind«, sagte derjenige der beiden Männer mit dem röteren Gesicht. »Aber wie sind Sie denn hier hoch gekommen? Sind Sie auch einer der Besten Milwaukees?«
    Ich lachte. »Nein, aber ich vertrete eine der besten Versicherungsgesellschaften von Los Angeles.« Ich fischte zwei Kärtchen aus meiner Jackentasche und gab jedem eine. Sie reagierten beide mit einer identischen Mischung aus Nicken und Kopfschütteln.
    »Floyd Lutz«, sagte der rotgesichtige Mann und streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie.
    »Walt Kraus«, sagte sein Partner und streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie.
    »Fred Underhill«, erwiderte ich.
    Wir sahen uns an. Als liebenswürdige Einleitung sagte ich: »Ich nehme an, Will Berglund hat Sie wegen meines Besuchs angerufen?«
    Als liebenswürdige Antwort sagte Floyd Lutz: »Ja, hat er. Wer hat Johnny DeVries’ Schwester erwürgt, Underhill?«
    »Wpiß nicht. Die Bullen in L.A. wissen’s auch nicht. Wer hat Johnny DeVries aufgeschlitzt?«
    Walt Kraus deutete auf einen Stuhl. »Wir wissen es nicht«, sagte er. »Möchten wir gern wissen. Floyd und ich waren von Anfang an mit dem Fall befaßt. Johnny war ein Ungeheuer, ein nettes Ungeheuer, verstehen Sie mich nicht falsch, aber zwei Meter zehn? Zweihundertsiebzig Pfund? Das ist ein Ungeheuer. Der Kerl, der ihn aufgeschlitzt hat, mußte ein noch schlimmeres Ungeheuer sein. Johnnys Bauch war vom Brustkorb bis zum Bauchnabel aufgerissen. Großer Gott!«
    »Verdächtige?« fragte ich.
    Floyd Lutz antwortete mir: »DeVries hat Morphium verkauft. Genaugenommen, hat er es verschenkt. Er war zu weich. Er konnte nie lange im Geschäft bleiben. Er endete immer im Armenviertel, schlief im Park, verteilte Handzettel und verkaufte sein Blut wie die anderen Wracks. Die meiste Zeit war er ein netter, passiver Kerl, der den armen Schweinen kostenlos Morphium gab, die im Krieg danach süchtig geworden waren. Floyd und ich und die anderen Bullen taten unser Bestes, um ihn nicht hochgehen zu lassen, aber manchmal mußten wir einfach: Wenn er wütend wurde, war er das gemeinste Tier, das ich je gesehen

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