Heimlich
hatte, starrte er mich schweigend an. Ich starrte zurück, und mir war klar, daß er mir die Reue nicht abnahm, die ich ihm vorgeheuchelt hatte. Reue über die Freiheit, die ich mir herausgenommen hatte. Wir starrten uns eine Weile an.
Der Captain schaute sehr ernst. Langsam und bedächtig klopfte er den Pfeifenkopf auf seine Handfläche. »Underhill«, sagte er, »Sie sind ein äußerst arroganter junger Mann. Im Verlaufe dessen, was Sie arroganterweise Ihre ›Untersuchung‹ nennen, haben Sie Verstöße gegen die Dienstvorschriften begangen, die Ihrer Karriere ein Ende setzen könnten; Sie haben zwei Gesetzesbrüche begangen, die Sie nach St. Quentin bringen könnten; und durch Ihr Tun haben Sie die Kriminalbeamten zweier Abteilungen und die Mordkommission lächerlich gemacht.«
»Sir, ich -«
»Unterbrechen Sie mich nicht, Underhill! Ich bin Captain, und Sie sind Streifenbeamter, vergessen Sie das nicht.« Jurgensens Gesicht war tiefrot. An seinem Hals pulsierte eine zornesblaue Vene.
»Sir, ich entschuldige mich.«
»Gut so. Für Ihre Arroganz könnte ich Sie kreuzigen, aber ich werde es nicht tun.«
»Danke, Sir.«
»Danken Sie mir noch nicht, Underhill. Sie sind ein sehr begabter junger Mann, aber Ihre Arroganz übersteigt Ihre Begabung. Arroganz bei Polizeibeamten kann nicht geduldet werden; sie zu dulden, hieße, die Anarchie zu fördern. Das Los Angeles Police Department ist eine vorzüglich strukturierte Bürokratie, eine, der Sie Treue geschworen haben. Das sollten Sie wissen, Underhill. Sie sollten wissen, daß Ihr Ehrgeiz Sie als Polizist erledigen kann. Verstehen Sie mich?«
Ich räusperte mich. »Sir, ich glaube, ich habe überstürzt gehandelt, und ich möchte mich dafür entschuldigen - bei Ihnen und bei der Behörde. Aber ich glaube, daß meine Motive begründet waren. Ich wollte Gerechtigkeit.«
Jurgensen schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht, Underhill. Von vielen jungen Beamten würde ich eine Entschuldigung annehmen, aber nicht von Ihnen. Außer Ihrer Eigenbeförderung weiß ich nicht einmal, was Sie wollen, aber sicher ist es nicht Gerechtigkeit. Sie pfeifen auf das Strafgesetzbuch dieses Staates und erzählen mir, Sie wollten Gerechtigkeit? Beleidigen Sie meine Intelligenz nicht!«
Jurgensens Zorn legte sich langsam. Ich versuchte, seinen Angriff abzubiegen. »Sir, bei allem Respekt, was halten Sie von meinem Fall?«
»Ihr ›Fall‹? Ich glaube, bis jetzt haben Sie nichts als einen stark Verdächtigen und eine unglaubliche Gabe der Intuition. Dieser Engels ist bis jetzt nichts anderes als ein Spieler und ein Weiberheld, und nichts davon ist strafbar. Er ist wahrscheinlich ein Homo, aber das macht ihn noch lange nicht zum Mörder. Sie haben keine schlagkräftigen Beweise. Ich halte nicht viel von Ihrem ›Fall‹.«
»Und meine Intuition, Captain?«
»Ich traue Ihrer Intuition, Underhill, sonst hätte ich Sie schon vor einer halben Stunde vom Dienst suspendiert.«
»Und weiter?«
»Und ... was wollen Sie, Underhill?«
»Ich will an der Untersuchung teilhaben, und ich möchte zur Kripo versetzt werden, wenn ich das Sergeanten-Diplom in der Tasche habe.«
Jurgensen lachte bitter. Er langte in seine Schublade, zog einen Notizblock heraus und schrieb etwas darauf, riß die Seite ab und reichte sie mir. »Das ist meine Privatadresse in Glendale. Kommen Sie heute abend um 8.30 Uhr dahin. Ich möchte Dudley Smith Ihre Geschichte erzählen. Er wird die Untersuchungen leiten. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe.«
Als er die Worte »Dudley Smith« aussprach, hatten sich Jurgensens kalte, blaue Augen wie Giftpfeile in mich gebohrt. Er hatte gedacht, ich würde ängstlich oder besorgt werden. Vergebens.
»Ja, Sir«, sagte ich, stand auf und ging zur Tür hinaus, ohne zu grüßen.
Dudley Smith war Lieutenant bei der Mordkommission, eine furchteinflößende Persönlichkeit und ein legendärer Cop, der im Dienst schon fünf Männer getötet hatte. In Irland geboren und in Los Angeles aufgewachsen, behielt er hartnäckig seine hohe, musikalische, irische Mundart bei, die wohlgestimmt wie eine Stradivari klang. Er hielt auf der Polizeiakademie oft Vorträge über Verhörtechniken, und ich erinnerte mich, wie sein Singsang abwechselnd sanft oder brutal, fragend oder verblüfft, sympathisch oder mit heißem Zorn erfüllt sein konnte.
Er war 1,85 Meter groß und breit wie ein Deckenbalken. Er bestand aus einem einzigen Braunton - kurzgeschnittenes braunes Haar,
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