Heimliche Wuensche
nettes kleines Bürschchen, nicht wahr?«
»Ich habe den Welpen nie zu Gesicht bekommen«, murmelte sie.
»Entschuldigung; aber ich habe nicht verstanden, was Sie eben sagten.«
»Ich habe den Hund nicht zu Gesicht bekommen«, wiederholte Nellie etwas lauter. Konnte Terel oder ihr Vater verhindert haben, daß sie von den Geschenken und Einladungen erfuhr, die man ihr ins Haus schickte? Warum mochten sie so etwas tun? Terel hatte ihr erzählt, daß Mr. Montgomery nichts von sich hatte hören lassen. »Wie geht es Olivia Truman?«
»Wem?«
»Olivia Truman. Sie ist eine sehr hübsche Rothaarige. Ihr Vater hat einen ziemlich großen Grundbesitz vor der Stadt.«
»Ich kann mich nicht erinnern, eine Miss Truman kennengelernt zu haben.«
»Sie müssen Sie doch auf einer dieser Partys getroffen haben, die Sie in den letzten Wochen besucht haben. Auf der Gartenparty? Beim Picknick? Dem Wohltätigkeitsessen im Pfarrhaus?«
Nun begriff Jace allmählich. »Seit ich Sie in der letzten Woche in der Küche besucht habe, habe ich nur noch im Büro Ihres Vaters gearbeitet, mich über Berge von schmutzigen Akten gebeugt und die Abende im Hause meines Vetters verbracht. Houston wird Ihnen bestätigen, daß ich jeden Abend in ihrem Haus gegessen habe, und mein gesellschaftliches Leben hat darin bestanden, daß ich unzählige Male diese drei Kinder huckepack getragen habe.«
Nellie blieb eine Weile stumm. Jeden Abend hatte ihr Terel erzählt, wo sie Mr. Montgomery begegnet sei und mit welchem Mädchen er zusammen gewesen war. Einer der beiden log, und sie wußte instinktiv, daß Terel ihr die Unwahrheit gesagt hatte. Vielleicht hatte Terel sie beschützen wollen, überlegte Nellie. Vielleicht tat sie nur, was ihrer Meinung nach am besten für ihre ältere Schwester war.
»Wie gefällt es Ihnen in Chandler, Mr. Montgomery?« fragte sie in dem Bemühen, eine höfliche Konversation in Gang zu bringen.
»Mir gefällt es sehr gut, seit Sie neben mir sitzen«, antwortete er.
Nellie wußte nicht, was sie darauf sagen sollte. Wär er der durchtriebene Gauner, als den ihr Vater und Terel ihn darstellten, oder war er das, was er ihr zu sein schien? Sie hatte bisher nie Grund gehabt, die Lauterkeit ihrer Familie in Zweifel zu ziehen; aber nun begann sie sich doch über einige Dinge zu wundern.
Sie befanden sich inzwischen mehrere Meilen außerhalb von Chandler und kamen gerade über die Kuppe eines Hügels, als Jace in das Tal hinunterblickte und dort den Wägen des Kutschers sah, der mit Korn beladen war und noch neben dem Blockhaus stand. Er wußte sofort, daß der Mann seinen Plan nicht verstanden hatte.
Jace hielt das Gespann an. »Nellie, ich muß Sie jetzt hierlassen. Ich fürchte, die Frau des Kutschers könnte an einer gefährlichen Krankheit leiden. Ich wäre untröstlich, wenn Sie sich anstecken würden.«
»Das ist doch lächerlich«, meinte sie, als er um den Wagen herumging, um ihr vom Kutschbock herunterzuhelfen. »Wenn Sie sich dieser Krankheit aussetzen, kann ich das auch.« Aber er wollte nicht auf sie hören, legte nur seine starken Arme um sie und hob sie vom Wagen herunter. »Mr. Montgomery, ich möchte gerne mitfahren. Ich . . .«
Er küßte sie sacht, aber ein wenig zerstreut auf den Mund. »Ich werde so rasch wie möglich zurückkommen und dich nachholen, mein Schatz. Keine Angst.«
Er sprang wieder auf den Wagen, ließ das Zügelleder auf die Pferderücken klatschen und preschte in einer Staubwolke davon.
Nellie blieb hustend zurück und blickte ihm nach. »Mein Schatz«, murmelte sie. Niemand hatte sie bisher »mein Schatz« genannt.
Als Jace die Blockhütte der Everetts erreichte, hatte er eine tüchtige Wut im Bauch. »Ich drehe ihm den Hals um«, fluchte er leise, als er die Zügel strammzog. Er sprang vom Kutschbock herunter und eilte zur Vordertür, die offenstand, um die warme Luft des Altweibersommers einzulassen.
Innen saß die ganze Familie — zwei Erwachsene und sechs Kinder — friedlich beim Mittagessen. Der Tisch bog sich unter einer Platte mit Schinken, Schüsseln mit Gemüse und Maisbrot, und auf der Anrichte stand ein Kuchen für den Nachtisch.
»Was, zum Henker, soll das bedeuten?« brüllte Jace, so daß sich alle Augen auf ihn richteten. »Entschuldigen Sie meine etwas derbe Ausdrucksweise, Ma’am«, fuhr er fort, seinen Hut abnehmend. Dann trat er in die Hütte. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich war die ganze Nacht auf gewesen, um das Korn aufzuladen«, erwiderte Frank Everett.
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