Heimliche Wuensche
sein«, sagte Terel. »Vater und ich haben die Wahrheit schon vor langer Zeit erkannt. Nellie ist fett, und sie wird mit jedem Tag fetter. Das war eine Last, die Vater und ich schon immer hatten tragen müssen. Wir haben alles bei ihr versucht. Wir haben ihr beide täglich ins Gewissen geredet. Vor drei Jahren schickte Vater sie sogar in eine Klinik in der Nähe von Denver. Sie hat dort zwar einige Pfunde abgenommen, aber kaum war sie wieder zu Hause, hatte sie in kürzester Zeit ihr altes Gewicht. Wir wissen uns einfach keinen Rat mehr bei ihr. Sie verschlingt ganze Kuchen, Pasteten und Dutzende von Plätzchen auf einmal. Es ist wie eine Krankheit bei ihr. Wir wissen nicht, was wir dagegen unternehmen können.« Terel bedeckte ihr Gesicht mit einem frischen Taschentuch.
»Wir hatten ja keine Ahnung, daß du die ganze Zeit mit einem so schweren Geheimnis belastet warst«, sagte Charlene und tätschelte Terels Schulter.
»Du weißt ja erst die Hälfte der Wahrheit.«
Die Frauen lehnten sich abermals auf ihren Stühlen vor.
»Heute morgen ist Mr. Montgomery mit dem Zug um vier Uhr morgens abgereist. Er hat sein Hotelzimmer gekündigt und keine Nachricht oder neue Adresse hinterlassen. Er stahl sich einfach bei Nacht und Nebel aus der Stadt. Er ... er ... oh, ich kann euch das einfach nicht sagen.«
»Wir sind doch deine Freundinnen«, sagte Charlene, und Louisa nickte zustimmend.
»Ich denke, Mr. Montgomery hatte begriffen, daß er das Geschäft meines Vaters niemals bekommen wird. Und ich fürchte, er hatte ... er hat sich an Nellie vergriffen.«
Die Frauen keuchten alle drei entsetzt auf.
»Er . . .«
»Sie . . .«
»Sie haben beide . . .«
»Ist sie . . . wird sie ein Baby bekommen?« flüsterte Mae. Sie kannte sich zwar mit den technischen Einzelheiten der Handlung nicht aus, die Nellie angeblich um ihre Jungfernschaft gebracht hatte; aber ihre Mutter hatte sie nachdrücklich vor Männern und der Möglichkeit, ein Baby zu bekommen, gewarnt.
»Ich weiß es nicht«, sagte Terel und schluchzte kurz hinter ihrem Taschentuch. »Was soll ich jetzt nur machen? Vater hat mich gebeten, Nellie schonend beizubringen, daß ihr . . . ihr Liebhaber die Stadt verlassen hat. Aber wie kann ich ihr das sagen? Sie ist so vernarrt in diesen Schuft, daß sie mir das niemals glauben wird. Ich bin sicher, sie wirft mir vor, ich würde sie aus Eifersucht belügen, wenn ich ihr erzähle, daß Mr. Montgomery mich auf der Terrasse geküßt hat.«
»Wie schrecklich für dich«, sagte Louisa. »Sie wird doch den Worten eines Fremden nicht mehr trauen wollen als ihrer eigenen Schwester!«
»Wenn Mr. Montgomery mir erzählte, daß der Himmel nicht blau ist, sondern rot, würde ich ihm glauben. Und nichts, was meine Schwester zu mir sagen würde, könnte mich in meinem Glauben erschüttern«, sagte Mae. Als die anderen sie nun wütend anfunkelten, gab sie den Blick nicht minder wütend zurück.
»Mae hat recht«, sagte Terel. »Ihr habt Nellie ja gestern nacht selbst erlebt. Sie glaubt, daß sie diesen Schuft liebt. Sie wird mir niemals auch nur ein Wort glauben.« Sie schielte über ihr Taschentuch hinweg auf die drei jungen Frauen. Ihr Idioten, dachte sie bei sich, gebraucht das bißchen Verstand, das ihr in eurem Schädel habt.
»Ich werde Nellie erzählen, daß er auch mich geküßt hat«, sagte Charlene und sah dabei wie eine Märtyrerin aus, die sich für eine gute Sache opfert.
»Und das werde ich ihr ebenfalls sagen«, meinte Louisa mit demselben Stolz, eine gute Tat zu vollbringen.
»Ich werde ihr erzählen, daß ich mit seinem Kind schwanger ginge«, flüsterte Mae mit verklärtem Blick, ehe sie sich erschrocken aufrichtete und hastig sagte: »Also gut. Nur einen Kuß.«
»Ihr beweist mir wieder mal, was für gute und treue Freundinnen ihr seid«, meinte Terel, die Gerührte spielend. »Und eines Tages wird Nellie sicherlich zu schätzen wissen, was ihr für sie getan habt.«
»Wir sind auch Nellies Freundinnen, und wir werden alles tun, um ihr zu helfen. Aber Terel, dabei fiel mir gerade ein — nur, weil wir das eigentlich wissen müßten, wenn Nellie sich bei uns danach erkundigen sollte —, wie war denn der Kuß von Mr. Montgomery?« sagte Charlene.
»Ja, auch aus Gründen, die uns erlauben, Vergleiche anzustellen, solltest du uns das sagen«, meinte Louisa.
»Nun gut«, begann Terel, »nur aus den ebengenannten Gründen würde ich sagen, daß er göttlich war. Er ist ein sehr starker Mann, und er hat mich
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