Heimliche Wuensche
mehr.
Zu Hause hörte Nellie nur noch auf Terel, weil sie einmal ihren Rat nicht befolgt hatte und prompt von einem hinterhältigen, heuchlerischen Mann hereingelegt worden war.
»Du willst doch sicherlich nicht die Weihnachtsparty in Masonic Lodge besuchen, oder?« fragte Terel, die Einladungskarten für Nellie studierend. »Du erinnerst dich doch noch daran, was auf dem Erntedankfestball geschah, nicht wahr? Ich glaube nicht, daß ich es ertragen könnte, noch einmal mitanzusehen, wie sich meine geliebte Schwester zum Gespött der Leute macht.«
»Nein, ich will nicht hingehen«, flüsterte Nellie und verspürte dabei ein nagendes Hungergefühl. Nach zwei Monaten genügte bereits ein Gedanke an Jace, um einen brennenden Schmerz in ihrer Brust auszulösen. »Ich möchte weder dich noch Vater blamieren.«
»Es ist nicht so, daß du uns, sondern dich selbst blamierst, wo du doch die ganze Zeit nur ißt und keinen Geschmack besitzt, was Männer betrifft. Ich habe Angst, es könnte der Dorftrottel zur Party kommen und du dir einbilden, du seist in ihn verliebt.«
»Terel, bitte . . .« sagte Nellie mit flehender Stimme.
»Oh, es tut mir leid, Nellie, ich wollte dich nicht kränken. Ich schätze, es ist mein übertriebener Beschützerinstinkt, der aus mir spricht. Hier ist eine Einladung an dich, daß du im Chor mitsingen sollst. Das willst du doch nicht, nicht wahr? Ich meine, es ist ein gemischter Chor, und du weißt doch, wie du auf Männer reagierst.«
»Nein«, sagte Nellie mit tränenerstickter Stimme. Sie wollte nirgends hingehen. Sie wollte einfach vom Erdboden verschwinden.
»Ich glaube wirklich, es wäre am besten, wenn du zu Hause bliebest, wenigstens eine Zeitlang. Sind das dort Napfkuchen? Sie duften köstlich. Warum ißt du nicht einen oder zwei davon? Die Leute sagen schon, du seist zu mager.« Sie küßte Nellie auf die Wange. »Wir sehen uns dann am Nachmittag.«
Als Terel aus der Küche gegangen war, verzehrte Nellie ein Dutzend Napfkuchen.
Jace stieg aus dem Zug und atmete die kalte Gebirgsluft von Colorado ein. Es war ein gutes Gefühl, wieder hier zu sein — zurück an dem Ort, den er inzwischen bereits als seine Heimat betrachtete.
Er gab einem Jungen einen Nickel, damit er sein Gepäck ins Hotel trug und ein Zimmer für ihn reservierte. Er wollte sich nicht die Zeit nehmen, zuerst ins Hotel zu gehen. Ihn verlangte jetzt nur danach, Nellie wiederzusehen.
Er lächelte, als der kalte, trockene Wind ihm ins Gesicht schlug, und er klopfte leicht gegen seine Brusttasche, in dem, mit einem rosenfarbenen Band umwickelt, der Packen von Nellies Briefen steckte. Es war nun zweieinhalb Monate her, daß er sie zuletzt gesehen hatte — die längsten zehn Wochen seines Lebens. Aber er hatte das, was er regeln mußte, nicht in kürzerer Zeit bewerkstelligen können.
Als er in Warbrooke eintraf und dort seinen Vater bei bester Gesundheit vorfand, war sein erster Impuls gewesen, gleich wieder in den nächsten Zug zu springen, der ihn nach Chandler zurückbringen sollte. Er hatte keinen Zweifel, daß Terel hinter diesem elenden Telegramm steckte.
Doch das Telegramm hatte ihm auch deutlich gemacht, wieviel ihm seine Eltern bedeuteten, und so war er mit dem Segelboot aufs Meer hinausgefahren — nur sein Vater und er — und hatte ihm alles von Nellie gebeichtet. Als er am Ende dieses Tages mit dem Boot in den Hafen zurückkehrte, hatte er gewußt, was er mit seinem Leben anstellen wollte. So sehr er auch das Meer liebte, so genau er wußte, daß es ihm fehlen würde: es blieb dennoch sein Wunsch, mit Nellie in Colorado zu leben.
An jenem Abend hatte er sich hingesetzt und ihr von seinen Plänen geschrieben. Er teilte ihr nicht mit, daß jemand dieses Telegramm nur vorgetäuscht hatte. Er hatte nicht die Absicht, Terel über einen Kontinent hinweg zu bekämpfen; und so schrieb er ihr nur von seinem Vorhaben, daß er so lange in Warbrooke bleiben wolle, bis er dort den größten Teil seines Besitzes verkauft hatte — das Land und das Haus, das ihm und Julie gehört hatte, seine drei Segelschiffe, und ihm Anteile überschrieben waren, die ihm aus dem Besitz der Familie zustanden. Wenn er das alles geregelt hatte, wollte er nach Chandler zurückkehren und Nellie heiraten.
Er hatte ihr lange Briefe geschrieben, in denen er ihr von seiner Heimatstadt erzählte, von seinem Vater und seinen Brüdern, von der Hausmusik, die seine Mutter veranstaltete, und wie gut es ihm bekam, sie wieder singen zu hören. In
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