Heimliche Wuensche
Warbrooke war ihm bewußt geworden, wie wenig er und Nellie miteinander geredet hatten, und nun floß ihm das alles nur so aus der Feder. Er schrieb ihr, wie er das Grab von Julie und seinem kleinen Sohn besucht hatte und wie der Kummer um sie nur noch ein leises, dumpfes Pochen gewesen war. Und eines Nachts, als er nicht einschlafen konnte und sich sehr einsam fühlte, hatte er ihr gebeichtet, was er für einen Trick mit der angeblich hungrigen Everett-Familie angewendet hatte, um sie von zu Hause wegzulocken. Und in jedem Brief versicherte er ihr mehrmals, daß er sie liebte.
Nellies Briefe an ihn waren nicht so lang gewesen, wie er sie sich gern gewünscht hätte. Tatsächlich waren sie kurz angebunden und schroff; aber sie hatten wenigstens die Zeilen enthalten, daß es ihr gutginge. Er hatte ihr nicht mitgeteilt, daß er heute in Chandler eintreffen würde; denn er hatte unerwartet einen Käufer für sein letztes Segelschiff gefunden und war endlich wieder frei in seinen Entschlüssen. Nachdem er ein paar Anzüge in eine Tasche geworfen hatte, war er mit dem nächsten Zug aus Warbrooke abgereist. Er wollte dieses Weihnachten mit Nellie verbringen, und beim nächsten, so hatte ihm seine Familie versprochen, gedachten sie alle nach Colorado zu kommen, um ihn und Nellie zu besuchen — vielleicht schon, dachte er grinsend, mit ihrem ersten Kind.
Als er jetzt den Bahnhof verließ, war er in einer Stimmung, als schwebte er über den Wolken. Alle Hindernisse waren für ihn und Nellie weggeräumt worden. Nichts stand ihrem Glück noch im Weg.
Er war so sehr in seine frohen Gedanken vertieft, daß er gar nicht bemerkte, wie die Leute in Chandler auf der Straße stehenblieben und ihn anstarrten.
Sie gafften ihm nach, runzelten die Stirn, steckten dann die Köpfe zusammen und murrten, wie er die Frechheit besitzen könne, sich noch einmal in dieser Stadt zu zeigen.
Er ging so schnell dahin in dem Bemühen, so rasch wie möglich zu Nellies Haus zu gelangen, daß er nicht sah, wie die Tür des Kaufhauses »The Famous« aufschwang und Terels Freundinnen auf den Bürgersteig hinaustraten. Er rannte mitten in sie hinein, so daß ihre Einkaufspakete über das Pflaster hinpurzelten.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und bückte sich, um die Pakete aufzusammeln. »Es war allein meine Schuld. Ich habe nicht auf den Weg geachtet.«
»Siel« rief Louisa.
Jace blickte zu den drei jungen Damen hoch und vermochte nicht zu begreifen, warum sie ihn so entsetzt anstarrten.
»Wie können Sie es wagen, in dieser Stadt Ihr Gesicht zu zeigen?« zischelte Charlene durch die zusammengepreßten Zähne. »Nach allem, was Sie Nellie angetan haben!«
»Geht es Nellie gut?« fragte Jace, sich wieder aufrichtend.
»Als ob Ihnen etwas daran läge, daß es ihr gutgeht!« fauchte Louisa.
Mae hatte bis jetzt kein Wort gesagt; aber plötzlich holte sie mit dem Arm aus und schlug Jace mitten ins Gesicht. »Ich will nicht ein Kind von dir bekommen«, sagte sie und drängte sich dann an ihm vorbei. Louisa und Charlene rissen ihm ihre Pakete aus der Hand und beeilten sich, Mae einzuholen.
Jace hielt sich die rechte Wange und starrte den drei jungen Damen nach. »Was, in aller Welt, geht hier vor?« sagte er laut.
Nach dem unerfreulichen Zusammentreffen mit diesen drei jungen Damen setzte Jace seinen Weg im langsameren Tempo fort und begann die gehässigen Blicke zu bemerken, die ihm von fast allen Passanten zugeschickt wurden. Allmählich kam er sich vor wie der Schuft in einer tragischen Oper.
Als er nur noch drei Häuserblocks von Nellies Haus entfernt war, lief ihm Miss Emily über den Weg.
»Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie den Nerv haben, noch einmal hierherzukommen«, sagte sie. »Ich schätze, Sie erfuhren, daß Nellies — wie sollen wir es nennen — Dilemma ein falscher Alarm gewesen ist, und deshalb hatten Sie sich vielleicht gedacht, daß Sie hier wieder unbehelligt Ihre Kreise ziehen könnten. Aber ich bezweifle sehr, daß Charles Ihnen jetzt noch sein Frachtgeschäft überlassen wird.«
Sie wollte an ihm Vorbeigehen; aber er hielt sie am Arm fest.
»Würden Sie mir bitte verraten, was hier vorgeht?«
Miss Emily" blickte über ihre Habichtsnase auf seine Hand auf ihrem Arm hinunter, und Jace ließ ihren Ärmel los. »Ist denn keine Frau sicher vor Ihnen?«
»Sicher?«
Miss Emily setzte sich wieder in Bewegung, und Jace wurde so wütend, daß er seine guten Manieren vergaß und brüllte: »Was, zum Teufel, geht hier
Weitere Kostenlose Bücher