Heimliche Wuensche
flüsterte Nellie.
»Nicht einmal für mich? Für deine liebe alte Tante?« sagte Berni in flehendem Ton.
Nellie holte tief Luft. Ihr Herz klopfte heftig. »Also gut. Für dich.«
Sie trat aus der Tür hinaus in die kalte Luft, in der ein paar Schneeflocken zu Boden rieselten, und machte sich auf den Weg zum Hotel.
Berni schloß hinter ihr die Tür und lächelte. Leicht, dachte sie. Fast zu leicht. Jace war vermutlich nicht zum Lunch gekommen, weil er die schriftliche Einladung nicht erhalten hatte, aber Berni wußte, daß Nellie eine verantwortungsbewußte Person war und sicherlich so lange im Hotel warten würde, bis sie Jace die Einladung persönlich übermitteln konnte.
Berni setzte sich an den Küchentisch, begann die Plätzchen zu verzehren, die Nellie gebacken hatte, und schnippte mit den Fingern. Im gleichen Moment hielt sie die Weihnachtsausgabe des Vogue vom Jahre 1989 in der Hand.
Diese Gute-Fee-Masche hatte schon was für sich, dachte sie. Sie würde vermutlich spätestens um zehn Uhr abends Jace und Nellie miteinander verkuppelt haben. Vielleicht werden sie ihr erstes Kind nach mir nennen, dachte sie und lächelte dabei.
Auf der anderen Seite der Küchentür wurde Terels Mund zu einem dünnen Strich. Das ist es also, dachte sie. Ihre Tante war eine Freundin der Mutter von diesem Montgomery. Deshalb war Tante Berni so plötzlich und unerwartet zu Besuch gekommen. Das hatte nichts damit zu tun, daß sie eine von den beiden Grayson-Mädchen zu ihrer Erbin erküren wollte. Tante Berni wollte erreichen, daß der Sohn ihrer Freundin Nellie heiratete.
Und mich zurückläßt, dachte Terel. Nellie soll einen reichen Mann heiraten und wegziehen aus dieser schrecklichen Stadt. Während ich hierbleiben muß.
Auf Zehenspitzen ging Terel durchs Eßzimmer und durch die Vordertür aus dem Haus, ohne ein Geräusch zu machen. »Nellie!« rief sie, als sie im Freien war.
Langsam drehte sich Nellie zu ihrer Schwester um. »Ich dachte, du würdest einen Mittagsschlaf halten.«
»Wollte ich auch, aber ich hatte Angst, dich mit ihr alleinzulassen.«
»Mit Tante Berni?«
»Ja, mit Tante Berni. Ich sage dir, alle meine Instinkte warnen mich, daß wir uns vor ihr in acht nehmen sollen.«
»Aber sie scheint so nett zu sein. Ich glaube nicht...«
»Du wolltest ja auch nicht glauben, daß etwas mit diesem schrecklichen Mann nicht stimmen könne, den du zu lieben meintest, Nellie.«
Nellie blickte auf ihre Hände hinunter.
»Wo willst du denn hin?« fragte Terel.
»Zum ... ah, Tante Berni bat mich . . .«
»Sie hat dich doch nicht etwa gebeten, ihn zu besuchen, oder? Oh, Nellie, sie ist grausam. Das ist unglaublich. Wie konnte sie so etwas nur ihrem eigenen Fleisch und Blut antun?«
»Ich glaube nicht, daß sie damit jemandem schaden wollte. Sie hatte nur den Wunsch, den Sohn ihrer Freundin beim Dinner begrüßen zu können.«
»Und du glaubst, das sei ein bloßer Zufall? Du glaubst, sie würde nicht jede unappetitliche Einzelheit deiner Affäre mit diesem Mann kennen?«
»Daran habe ich nun wirklich nicht gedacht. Sie bat mich, zu gehen, und . . .«
». . . und du hast ihr gehorcht. Oh, Nellie. Warum kannst du nie für dich selbst einstehen? Sag ihr, daß du dich nicht noch mehr erniedrigen willst, als du das bereits getan hast. Erzähle ihr die Wahrheit über diesen Mann.«
»Die Wahrheit?«
»Ja, daß er sich mit dir vergnügte, dann bei Nacht und Nebel aus der Stadt verschwand und dich sitzen ließ. Mehr noch — daß er es mit jeder Frau in dieser Stadt getrieben hat. Und daß er ein Lügner ist, weil er behauptet, er hätte dir während seiner Abwesenheit Briefe geschickt. Oh, Nellie, dieser Mann ist ein Schwindler, ein Schuft. Er hat das zum wiederholten Male bewiesen; aber du willst ihm jetzt nachlaufen wie damals auf dem Erntedankfestball.«
Nellie rang die Hände. Sie wußte, daß Terel solche Dinge nur sagte, weil sie um sie besorgt war; aber es wurde ihr ganz übel bei ihren Worten.
»Schön, Nellie, ich wollte es dir eigentlich nicht sagen«, fuhr Terel fort und seufzte. »Aber dein Mr. Montgomery ist in den letzten beiden Tagen mit Mae ausgegangen.« Sie legte eine Hand auf Nellies Arm. »Es tut mir ja so leid, daß er für dich eine Enttäuschung war. Ich weiß, daß du glaubtest, ihn zu lieben; aber du wirst ihn vergessen. Es lohnt nicht, ihm auch nur eine Träne nachzuweinen. Nun, wo du abgenommen hast und wir dich überall vorzeigen können, werden wir sicherlich auch einen Mann für dich
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