Heimstrasse 52
dass seine Frau ihn töten möchte. Mevlüde kocht vormittags, bevor sie zur Spätschicht geht, Essen, und wenn sie spätabends heimkommt, hat Serter nicht mal gekostet, sondern das gesamte Essen fortgekippt, weil er genau gesehen habe, wie seine Frau Gift reingemischt hat.
– Dabei war er im Bett, sagt Mevlüde, die Wanzen haben |56| auf seinem Hintern Tänze aufgeführt, so tief hat er geschlafen. Er muss raus, fort aus meiner Wohnung.
Serter beginnt tatsächlich, sich eine Wohnung zu suchen.
– Ich will nicht mehr mit ihr zusammenleben, sagt er, eines Morgens werde ich einfach nicht mehr aufwachen, nur weil diese Hexe nichts als meinen Tod im Sinn hat.
Die Rollen der Wagen, mit denen sie bei der Arbeit die Wolle befördern, blockieren häufig, weil überall Flusen rumfliegen, die sich um die Räder wickeln. Rocío tritt immer gegen die Wagen, und man hört Worte aus ihrem Mund, die spanische Flüche sein müssen. Einige Frauen beugen sich vor und schieben den Wagen mit ihrem gesamten Gewicht vorwärts. Das versuchen sie so lange, bis es sich nicht mehr umgehen lässt, sich um die Wollbüschel an den Rollen zu kümmern. Das Erste, was Gül tut, wenn ihre Schicht anfängt, ist, die Rollen aller Wagen freizumachen.
– Ich will arbeiten mit diesen Wagen, sagt sie, ich möchte mich nicht mit ihnen herumärgern, die sind dazu da, zu fahren, und das sollen sie auch tun.
– Du bist ein Idiot, sagt Mevlüde zu ihr, die anderen verspulen die Rollen, und du legst sie wieder frei, du schuftest für andere.
– Ich mache mir die Arbeit leichter, entgegnet Gül.
In den Tagen, in denen Serter bereits eine Wohnung sucht, wird Gül Zeugin, wie sich Mevlüde voller Wut gegen einen blockierenden Wagen stemmt, das Gesicht schon rot, die Zähne fest aufeinandergebissen. Es ist kurz vor Schichtende, und Mevlüde möchte das Freilegen der Rollen wohl der nächsten Schicht überlassen. Mit einer letzten Anstrengung drückt sie ihr Gewicht gegen den Wagen, als ihr ein Fuß wegrutscht und sie mit dem Gesicht gegen die Kante des Wagens fällt.
Zunächst schaut sie nach links und rechts, und als sie sich umdreht, um hinter sich zu sehen, wendet Gül sich schnell |57| wieder ihrer Arbeit zu. Mevlüde soll nicht glauben, sie würde sich über das Missgeschick freuen, denn das tut sie nicht, wirklich nicht. Und die Sache scheint Mevlüde ja peinlich zu sein, warum sonst sollte sie sich umschauen und keinen Ton von sich geben, wenn sie sich weh getan hat.
Am nächsten Tag ist Mevlüdes Wange geschwollen, und unter ihrem Auge ist ein leichter Bluterguss.
– Als würde es nicht reichen, dass er mein Essen fortkippt und versucht, mich mit seinen ewigen Beschuldigungen um den Verstand zu bringen, schimpft sie, als würde es nicht reichen, dass er nicht auszieht, jetzt schlägt der Mann mich auch noch.
Einige Frauen bemitleiden sie und sagen, dass man mit diesem Verrückten nie sicher sein kann, vielleicht schneidet er ihr nachts im Schlaf einfach die Kehle durch, das hat es alles schon gegeben. Nur Gül sagt:
– Mevlüde, dein Mann sucht tatsächlich eine Wohnung, das geht hier nicht so schnell, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Hab doch ein wenig Geduld mit ihm. Auf vierzehn Tage mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Er wird gehen, und du wirst deinen Frieden haben.
– Wenn ich dann noch lebe, belfert Mevlüde. Erst auf dem Heimweg, als kein anderer dabei ist, sagt Gül zu Mevlüde:
– Schau mal, Schwester, wir müssen ehrlich sein. Aufrichtigkeit beschert uns Frieden. Eines Tages werden wir alt sein, und dann soll nicht unser Gewissen uns quälen. Wir wollen in Ruhe gehen, wenn der Engel des Todes uns holt. Er soll uns mit einem Lächeln vorfinden. Und das wird er nur, wenn wir uns bemühen, lautere Menschen zu sein. Es führt kein Weg an der Aufrichtigkeit vorbei. Das gebietet uns unsere Religion, ach, die Menschlichkeit gebietet uns das. Es ist nicht immer leicht, aber wir müssen ehrlich sein.
Mevlüde sieht sie an, erstaunt und unschuldig sieht sie aus.
|58| – Vielleicht solltest du ein Buch schreiben, wenn du so schlau bist, sagt sie. Und danke dem Herrn dafür, dass er dich nicht mit so einem Mann wie Serter gestraft hat. Dann könntest du nicht so klug daherreden. Schau doch, wie er mich zugerichtet hat.
Fuat sitzt mit Bleistift und Papier am Küchentisch, addiert, subtrahiert, schreibt und streicht Zahlen, und am Ende legt er den Stift beiseite, zündet sich eine Zigarette an,
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