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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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lang mit ihr spielen.
    Nadiye und Ozan wohnen nicht weit weg, und es ist Nadiye, die Gül anbietet, auf Ceren aufzupassen.
    – Ich habe eh zwei kleine Kinder und bin daheim, eins mehr macht doch nichts aus, und sie ist ja schon groß, sie wird mir eine Hilfe sein und auf die beiden Jungs ein wenig achtgeben.
    – Sollen wir ihnen Geld dafür geben?, könnte Gül Fuat nun fragen, aber sie nimmt das Angebot dankend an und bringt Nadiye öfter etwas mit, getrockneten Traubensaft, den man an der Schwarzmeerküste nicht kennt, oder sie macht ihr einen Teller, wenn sie Weinblätter gefüllt oder Börek gebacken hat.
    – Was ist das eigentlich?, fragt Gül eines Tages, als sie Nadiyes Wäsche auf dem Balkon hängen sieht.
    |69| – Unterhosen, sagt Nadiye.
    Gül sieht sie an.
    – Bei uns an der Küste ist unwegsames Gelände, man kann schon mal stolpern und fallen, und damit es unter dem Rock nicht hervorleuchtet und aufreizt, tragen wir eben das.
    Gül schaut auf die schwarzen Schlüpfer.
    – Hat eine von deinen Nachbarinnen so etwas?
    – Nein, die haben alle so weiße Dinger, die viel kleiner sind.
    – Wie lange bist du jetzt schon hier?
    – Zweieinhalb Jahre werden es nächsten Monat.
    – Und du hast immer noch diese Schlüpfer, obwohl es hier immer und überall einen Gehsteig gibt? Wenn du mich fragst, gehört sich das nicht, sie vor so vielen deutschen Nachbarn auf den Balkon zu hängen. Wer weiß, was die denken.
    Am nächsten Tag bringt Gül Nadiye ein Paket weiße Frotteeslips mit. Die sind nicht teuer, doch Gül hat sie von ihrem Haushaltsgeld gekauft, mit dem sie so haushält, dass etwas für Melike übrigbleibt.
    Lange hat sie diskutiert mit Fuat, wie viel Geld man braucht für Essen, für Kleidung, für zwei Kinder, für Schulsachen für Ceyda, für Spülmittel und Putzlappen und was sie sonst noch alles aufgezählt hat, um ihren Mann zu überzeugen. Doch er hat das meiste mit einer Handbewegung abgetan, der Kleinkram kostet doch nichts.
    Doch alles kostet etwas, vor allem in einem Land, wo man kaum anschreiben lassen kann, geschweige denn handeln. Wenn etwas zehn Mark kostet und Gül hat nur noch neun, oder selbst neun achtzig, dann kann sie es nicht kaufen.
    Fuat nach zwanzig Pfennig zu fragen kann der Beginn eines Streits sein, den Gül als sinnlos empfindet, weil Fuat die zwanzig Pfennig schneller vertrinkt oder verspielt, als Gül sagen kann: Nur zwanzig Pfennig.
    Ein Streit, der sinnlos ist, weil Fuat darauf besteht, dass Gül mit der vereinbarten Summe auskommen muss. Während |70| er seinen Freunden gegenüber ständig seiner Spendierlaune nachgibt und in der Türkei vor allen Verwandten nichts Besseres zu tun hatte, als mit großzügigen Einladungen auf sich aufmerksam zu machen, ist er in den eigenen vier Wänden eher geizig.
    Nadiye kann nicht ahnen, was Gül diese zwölf Frotteeslips gekostet haben.
     
    Ceyda kommt jeden Tag aus der Schule, setzt sich an den Küchentisch und schaut hinaus in den Garten. In ihrer Hand hat sie einen Stift, doch sie schreibt nicht.
    – Was soll ich denn machen?, fragt sie ihre Mutter. Die schreiben die Buchstaben anders, ich verstehe nichts, den ganzen Tag sitze ich da und langweile mich.
    Gül erinnert sich daran, wie es für sie war, aus dem Dorf in die Stadt zu ziehen, von einem Klassenzimmer, in dem alle Klassen der Grundschule vom selben Lehrer unterrichtet wurden, in ein riesiges Gebäude, das voller Räume und Gänge war, so dass man sich verlaufen hat.
    Natürlich ist Ceyda enttäuscht. Nachdem sie als eine der Ersten lesen und schreiben gelernt hatte und Briefe geschrieben hat, ist sie nun die Schlechteste in der Klasse. Sie kann sich nicht mal den Namen der Lehrerin merken. Und dennoch muss sie jeden Tag bis mittags in diese Schule.
    Doch es ist gut, nicht mehr bei ihrer Oma zu sein, wo sie ständig im Haushalt helfen musste. Und die Winterjacke, für die ihre Mutter das Geld geschickt hatte, hat sie auch nicht bekommen. Ihre Oma hat zu ihrem Opa gesagt:
    – Das ist gutes Geld, dafür können wir einen Pelz kaufen.
    – Es ist für das Kind, nicht für dich, hat Faruk geantwortet.
    – Ja, hat Berrin entgegnet, wir lassen ihr einfach aus meinem alten Mantel vom Schneider einen neuen machen. Sie ist ein Kind, sie ist doch nächstes Jahr wieder rausgewachsen, aber ich kann einen Pelz gut gebrauchen.
    |71| Und so wurde es gemacht.
    Den halben Tag ist Ceyda in der Schule, aber wenigstens kann sie den Rest der Zeit bei ihrer Mutter sein. Obwohl sie sich

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