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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Schulmannschaft gebrauchen, sagt İlkay.
    Ceren entgegnet nichts, sondern wartet. Auf einen Lacher, einen Witz, einen Haken, den sie mal wieder übersehen hat.
    – Ceren, meine Liebe, ich will dich nicht auf den Arm nehmen, es ist mein Ernst, sagt İlkay. Ich selber spiele Aufbau, aber selbst wenn du noch nie gespielt hast, könnten wir dich bei deiner Größe gut gebrauchen.
    Ceren misst etwas über 1,70 und ist somit mindestens einen Kopf größer als die meisten ihrer Mitschülerinnen. Sie überragt ihre Mutter und ihre Schwester, und wenn sie noch drei, vier Zentimeter zulegen sollte, wird sie auch größer als ihr Vater sein. Ihre Schuhgröße ist 41, was ihr in den nächsten Jahren in dieser Kleinstadt noch einige Probleme bereiten wird.
    Ceren mag İlkay, diese kleine, quirlige Person mit den etwas zu breiten Hüften und den runden Wangen. İlkay hat einen tiefschwarzen Pferdeschwanz und große Zähne, die man häufig sieht, weil sie viel lacht. Sie ist schon mal sitzengeblieben und somit im gleichen Alter wie Ceren, die die Oberschule sicherheitshalber mit der ersten Klasse begonnen hat, obwohl sie in Deutschland in die zehnte gekommen wäre, was der zweiten Klasse der Oberschule entspricht.
    İlkay findet immer und überall schnell Kontakt, sie hat im Gegensatz zu Ceren keine Hemmungen gegenüber Fremden, sie ist tatsächlich eine gute Aufbauspielerin, wie Ceren nach und nach begreifen wird. Dieses Spiel wird in den nächsten |212| Jahren die Freundschaft dieser beiden Mädchen vertiefen. Für Ceren ist İlkays Nähe zunächst Grund genug, mit Basketball anzufangen. Doch sie braucht noch mehr Gründe, um nicht nach ihrem ersten Spiel sofort wieder aufzuhören.
    Zunächst geht sie zusammen mit İlkay zum Training, lernt Dribbeln, Korbleger, Sprungwürfe und die danebengegangenen Bälle über den Köpfen und Händen der anderen jungen Frauen aus der Luft zu fischen. Ihre Größe sichert ihr Vorteile, und sie lernt schnell. Schon nach sechs Wochen steht sie beim Spiel gegen eine andere Schule beim Anpfiff im Mittelkreis, ihre Gegenspielerin auf der anderen Seite ist gerade mal eine Handbreit kleiner, und Ceren ist fürchterlich aufgeregt. Ihre Mutter, die noch nie zuvor ein Basketballspiel gesehen hat, sitzt auf der Tribüne der schlecht geheizten Halle und ist noch nervöser als ihre Tochter.
    Gül sieht, wie der Schiedsrichter den Ball hoch in die Luft wirft, wie die beiden Mädchen springen und die Arme recken, wie Ceren etwas höher steigt als ihre Gegnerin, den Ball zu ihrer Mitspielerin außerhalb des Mittelkreises schlägt, landet, den Ball wieder zugepasst bekommt und losdribbelt, allein in Richtung Korb.
    Ceren wundert sich, warum niemand hinter ihr herläuft, auch wenn sie weiß, dass sie schneller ist als die meisten. So schnell kann ich doch gar nicht sein, denkt sie noch, und kurz vor der Freiwurfzone konzentriert sie sich nochmals. Letztes Dribbling auf links, dann ein Schritt mit rechts, noch einer mit links, abspringen, werfen und: Der Ball ist drin.
    Gül weiß ebenso wenig wie Ceren, warum die ganze Halle vor Lachen dröhnt. İlkay kommt zu Ceren gelaufen und nimmt sie in den Arm, doch auch sie kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Aus der Tatsache, dass ihre Tochter nun rot bis in die Fingerspitzen wird, und aus den Wortfetzen, die sie von links und rechts hört, schließt Gül, dass es nach vier Spielsekunden 2:0 für die Gegner steht.
    |213| So beginnt Ceren Basketball zu spielen, und sie wird İlkay noch dankbar sein, dass diese sich viel Zeit nimmt, um sie zu überreden, nach so einem Einstand nicht wieder aufzuhören. So fängt es an, doch schon bald haben die Gegner nichts mehr zu lachen und lernen, diese Spielerin zu fürchten, die notfalls auch im Alleingang ganze Spiele entscheidet.
     
    Nachdem Gül so lange mit Fuat zusammengelebt hat, hat sie zwar Cola im Haus, doch die steht wochenlang im Kühlschrank und wird nicht getrunken, bis eines Tages Besuch mit Kindern kommt, die gierig große Gläser voll hinunterstürzen und sich dann mit dem Handrücken über den Mund wischen, wie sie es im Fernsehen gesehen haben. Ein Getränk für erwachsene Alkoholiker und Kinder. Jahre später wird Yılmaz Erdo˘gan auf der Bühne Witze darüber machen, wie er als kleiner Junge in Ankara Cola getrunken hat und in den Sommerferien im Osten des Landes seinen Freunden nicht erklären konnte, was für ein Getränk das ist.
    Kinder und Erwachsene trinken es wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen,

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