Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
potenzielle Literatur gewesen. Es konnte in
etwas Erzähltes münden, es war nicht beliebig und wirkungslos, so wie jetzt. Es
war nicht so egal wie die Tatsache, dass ich demnächst meine einzige
finanzielle Reserve plündern musste, um dann vielleicht irgendwann dem Staat
auf der Tasche zu liegen.
Ich erinnerte mich an die Hoffnung, die ich in jedes Buch gesetzt
hatte. Hoffnung auf Lob, Geld, Lesereisen, Rezensionen in den wichtigen
Zeitungen – manches war dann auch wahr geworden, aber immer nur als Intermezzo.
Es blieb nicht. Diese Sachbuchschreiberei und das Übersetzen waren nur noch ein
schwaches Echo auf das vorangegangene Leben, das mir inzwischen nicht mehr
zustand. Das Leben mit Hoffnung. Das Leben in Ideen und Plänen und in einer
ständigen Zukunft, die immer in greifbarer Nähe schien, aber in immer größere
Entfernung rückte. Ich war irgendwann übergangslos von einem kommenden Autor zu
einem gestrigen geworden. Ohne mich auch nur ein einziges Mal als heutiger zu
fühlen.
Meinen Freunden ging es genauso. Sie waren mal jemand gewesen,
hatten wie ich den Fuß in der Tür gehabt, sich jahrelang als Anwärter aufs
Arriviertsein gefühlt und waren dann überrascht und enttäuscht in der
Ernüchterung eines Alltags gelandet, mit Absagen, Desinteresse, Manuskripten,
die in der Schublade schimmeln, und dem Kleinvieh, dessen Mist sich so deutlich
von den Dukaten des längst woandershin getrabten Goldesels unterscheidet.
Und mit der Hoffnung verflüchtigte sich auch der Mut. Auf einmal war
eine Idee nur noch eine Idee, kein Grund mehr, sie aufzuschreiben, kein Grund
mehr, sie einsickern zu lassen, sie zu wenden und zu beleuchten, ihr Stimme,
Statur und Stringenz zu verleihen – für den Weg von einer Idee zu einem Plot
und von einem Plot zu einer Story und von der zum Roman braucht es Mut. Bevor
man Talent, Geduld und Fleiß aufrufen muss, ist der Mut, aus einer Fiktion ein
Stück Leben zu generieren, das Wichtigste. Der Mut, sich zu blamieren, zu
scheitern, sich verhöhnen und mit Herablassung behandeln zu lassen, und auch
der Mut, sich selbst und der eigenen Idee so lange treu zu bleiben, bis der
letzte Satz geschrieben ist. Jetzt gerade, hier in der Terrassentür beim Blick
auf den strömenden Regen, erinnerte ich mich, wie erregend sich dieser Mut
angefühlt hatte.
˜
Ich musste nicht einkaufen, alles, was ich brauchte, hatte
ich hier. Falls der Regen nicht aufhörte, würde ich drinbleiben und zuschauen.
Das Halbdunkel im Haus gefiel mir. Schade, dass Isso unterwegs war –
ein Nachmittag mit Katze und Lektüre und vielleicht einem Kaminfeuer und
vielleicht einem Klavierkonzert, das hätte mir gefallen.
Ich startete den Laptop und öffnete die gestern angelegte Datei mit
Notizen. Es gelang mir immerhin, einige kleine Absätze für den Artikel zu
formulieren. Wo die dann stehen würden, was zu ihnen hinführen könnte und wo
sie ihrerseits hinführen sollten, war mir noch nicht klar, aber der tröstliche
Anblick von Buchstaben auf dem Bildschirm gab mir Auftrieb, und es ging
zusehends flotter und geschmeidiger voran. Irgendwann würde ich wissen, wie
sich eins zum anderen fügte, einstweilen war ich froh, wenigstens schon mal
eins und ein anderes zu haben.
˜
Ich hatte Stunden gearbeitet, hatte vergessen, mir neuen
Tee nachzuschenken, ein paar Schritte auf und ab zu gehen, an den Verleger zu
denken, Isso zu vermissen – ich hatte alles vergessen. Das war mir schon seit
Jahren nicht mehr passiert. Die Pflichtschreiberei in Berlin war eine
beamtenhafte Tätigkeit, die nur Disziplin brauchte, Inspiration war dafür nicht
notwendig.
Issos Ausspruch »Wir Katzen sind Musen« ging mir durch den Kopf. Sie
schaffte es sogar in Abwesenheit. Kein Wunder eigentlich, wenn sie Erfahrungen
aus mehreren Leben mitbrachte. Ich schüttelte den Kopf. Sie war schon eine
Marke. Sehr spezieller Humor, mir solche Bären aufzubinden. Und dabei hatte sie
ausgesehen wie Carmen Seelig. Sie konnte ihre Augen offenbar mal weniger und
mal mehr schräg stellen. Heute Morgen bei ihrem esoterischen Vortrag vom
Klodeckel herab hatte sie sie quer gestellt.
Es klopfte an der Terrassentür. Da stand Frau Seelig und machte ein
irgendwie zerknirscht wirkendes Gesicht. Sie winkte mir. Sie war patschnass und
trug einen ebenso patschnassen Regenmantel. Ich öffnete ihr.
»Peinlich«, sagte sie. »Entschuldigung, dass ich Sie störe.«
»Tun Sie nicht.«
»Mir ist ein blödes Missgeschick passiert.«
»Kommen Sie
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