Heinermaedsche
sie vermutet hatte: Eine aufgebrezelte Blondine stand vor der Tür und lächelte kühl und herablassend.
»Ja, bitte?«
»Ich will zu Hermann. Ist er da?«, näselte Janine.
Hatte sie etwa eine Nasenoperation hinter sich? Sie klang genau wie Evas Schwester, die sich vor zig Jahren (die genaue Anzahl der Jahre wird aus Pietät an dieser Stelle verschwiegen) die Nase hatte richten lassen.
12
Lange hatte Eva nicht mehr an ihre Schwester gedacht. Viel zu sehr war sie mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Aber in diesem Moment, in dem sie die näselnde Stimme vernahm, fiel ihr dieser verhängnisvolle Abend vor einigen Jahren ein. Adele war eine bildhübsche junge Frau mit langem blondem Haar, schmaler Taille, langem Hals, kleiner Stupsnase und den schönsten blauen Augen, die Eva je gesehen hatte.
Dann lernte ihre Schwester diesen mittelmäßigen Boxer namens Kalle kennen. Eigentlich war er eher ein Schläger, der ohne Sinn und Verstand auf seine Gegner eindrosch, egal, ob der Kampf in einem ordentlichen Ring stattfand oder in einer Spelunke. Viel zu oft verbrachte Kalle seine Abende in irgendwelchen dubiosen Kneipen. Anschließend wankte er jedes Mal in die gemeinsame Wohnung mit Adele und lallte irgendwelche Drohungen. Zum Glück kannte Eva das nur aus Erzählungen, es hätte ihr das Herz gebrochen, ihre Schwester dermaßen verängstigt zu sehen.
An jenem Abend, als Eva schon im Nachtgewand war, klingelte es an ihrer Tür. Hermann war mal wieder geschäftlich unterwegs. Sie öffnete und sah ihre Schwester, ein kleines Häufchen Elend, vor sich stehen. Ihre Nase geschwollen, die Augen dick und bunt. Ihre Kleidung hing ihr in Fetzen herunter. Doch Adele weinte nicht. Ihren Stolz hatte er ihr also nicht aus dem Leib geprügelt.
Eva nahm ihre zitternde Schwester in die Arme und zog sie auf das Sofa, wo sie lange schweigend saßen. Schließlich fing Adele an, zu erzählen. Was genau sie an jenem Abend sagte, wusste Eva nicht mehr, sie war nicht fähig, die ganze Zeit über zuhören. Die Geschichte war zu grausam. Stattdessen überlegte sie derweil, wie sie es diesem Schläger heimzahlen könnte. Doch keine Strafe dieser Welt würde Adeles Demütigung wiedergutmachen.
Eva brachte ihre verzweifelte Schwester sanft ins Obergeschoss und legte sie behutsam in das weiche Gästebett. Als Adele sie am Arm festhielt und bat, sie nicht allein zu lassen, setzte sich Eva zu ihr und streichelte über das blonde Haar und die Wangen. Stundenlang blieb sie bei ihr sitzen und fasste einen folgenschweren Entschluss.
Noch in derselben Nacht wählte sie die Nummer ihrer Freundin Marianne und erzählte ihr von den Erlebnissen ihrer Schwester. Marianne wusste immer, was zu tun war. Eva hoffte, auch bei diesem Problem auf eine schnelle Lösung. Wie erwartet, hörte Marianne sich die grausame Geschichte geduldig bis zum Schluss an und flötete vergnügt: »Da kann ich euch bestimmt weiterhelfen. Du musst wissen, mein Gärtner Francesco ist bei der Mafia und weiß bestimmt, wie man sich solcher Mistkerle entledigen kann. Im Moment schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben und verkauft allerlei illegalen Kram.«
»Moment mal, Marianne, die Mafia?« Eva traute ihren Ohren nicht.
»Ach so, ja, aber mach da bloß keine große Sache draus. Einen zuverlässigen Gärtner wie ihn hatte ich noch nie. Keiner weiß so gut wie er, wie man Rosenbüsche pflegt. Seit er bei mir ist, sind alle Rosen herrlich aufgeblüht«, schwärmte Marianne.
»Gut, aber ist das nicht gefährlich? Ich mein, weil du allein in dem riesigen Haus wohnst. Hast du keine Angst?« Eva war verängstigt und gleichermaßen fasziniert und umklammerte den Telefonhörer.
»Nein, ich fühle mich vollkommen sicher hier. Und für ein kleines Extra lässt er sogar meine Villa nachts bewachen. Bei uns ist bisher keiner eingebrochen, bei fast allen Nachbarn hingegen schon. Das habe ich Francesco zu verdanken.«
»Und was ist das für ein ›Extra‹?«
»Ach, er darf sich ab und zu eine Kleinigkeit einstecken; mal einen Silberlöffel oder einen Bilderrahmen. Es darf aber nicht zu auffällig sein, sonst wird mein Friedrich sauer. Ich frag ihn gleich mal, ob er uns hilft. Ich ruf dich bald zurück.«
Eva ließ sich an Ort und Stelle auf den Boden sinken und konnte kaum noch atmen. Ihre Freundin hatte Kontakte zur Mafia, das gab es doch nicht.
Es dauerte nicht lange, da klingelte das Telefon. Marianne war am Apparat.
»Francesco ist ganz außer sich vor Freude. Endlich kann
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