Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
ich suchen soll. Wenn wir Kopfersberg finden sollen, dann ist das um so leichter, je mehr wir von ihm wissen.«
»Nein, das kann ich nicht tun!« Eva Zurbano blieb eisern. »Man führt nicht einfach Fremde in die Büros Abwesender!«
»Zeigen Sie mir dann bitte den Terminkalender Ihres Chefs? Vielleicht gibt es ja einen Hinweis darauf, wohin er wollte.« Aber auch dieser Versuchsballon platzte noch vor dem Start.
»Es gibt keinen!« Eva Zurbano blieb eisern, jetzt schaute sie außerdem auf ihre Armbanduhr.
»Ein ziemlich großes Büro für nur fünf Leute«, sagte Laurenti.
»Es ist genügend Platz, da haben Sie recht.« Eva Zurbano war zur Eingangstür gegangen, die sie nun öffnete. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte«, sagte sie, »ich habe jetzt einen Termin.« Sie streckte ihm die Hand hin und komplimentierte ihn hinaus.
»Auf bald«, sagte Laurenti säuerlich.
Er grübelte über den eigenartigen Empfang nach, als er langsam die Treppen hinunterging. Irgend etwas paßte nicht. Warum bemühte sich die Zurbano nicht etwas mehr um Aufklärung, warum hatte sie Renata Benussi weggeschickt, und warum war Tatjana Drakic schon am Vormittag so unhöflich zum Assistente Capo Sgubin gewesen, der sich ganz gewiß korrekt verhalten hatte? Etwas stank ganz gewaltig in dieser Firma.
Und vor allem wollte Proteo Laurenti es nicht wahrhaben, daß Eva Zurbano damals, als Elisa verschwand, schon mit Kopfersberg zu tun hatte, er sie vernommen haben mußte und sich nicht an sie erinnerte. Die Dame war immerhin eine eindrucksvolle Person. Laurenti hoffte, daß die Akte von 1977 bald auf seinem Tisch läge, er hatte einiges nachzulesen. Er versuchte, sich zu erinnern, was ihm leichtfiel, denn seine damalige Niederlage hatte er nie verwunden. Kopfersberg, was für ein Name und welche Geschichte. Proteo hatte durch den Mann viel über Triest gelernt, wohin er versetzt worden war, immer in der Hoffnung, möglichst bald wieder in eine belebtere und ihm vertrautere Ecke des Landes geschickt zu werden. Er setzte sich unter die Sonnendächer vor dem »Caffè Stella Polare« vor San Antonio und ließ den Erinnerungen an seinen ehemaligen Kontrahenten freien Lauf. Kopfersberg hatte damals seine ganze Familiengeschichte vor ihm ausgebreitet, und Laurenti, neugierig geworden, hatte die Teile recherchiert, die jener ausgelassen hatte. Er erinnerte sich gut an die Unterhaltung. Kopfersberg, eine Zigarre in der Linken, einen Cognac in der Rechten, hatte in einem tiefen Ledersessel gesessen, Laurenti hingegen mußte mit einem unbequemen Holzstuhl vorliebnehmen.
Er entstammte einer alten österreichischen Familie, die sich 1839 in Triest niedergelassen hatte. Sein Ururgroßvater Joseph von Kopfersberg, ein steirischer Landadliger, war Marineoffizier gewesen und wechselte zur 1836 gegründeten Aktiengesellschaft »Triestiner Lloyd«, die alsbald den Überseeverkehr in die Levante, nach Indien und in den Fernen Osten aufnahm. Nachdem 1857 die »Südbahn«, die erste Eisenbahnverbindung von Wien nach Triest, und 1869 der Suezkanal eröffnet worden waren, stieg die Stadt zu einem internationalen Seehafen und einem Finanzzentrum erster Ordnung auf. »Es war eine Zeit des Aufbruchs und des Wachstums, in der Unternehmergeist gesucht und belohnt wurde«, hatte Kopfersberg ziemlich angeberisch gesagt, als wäre er selbst dabei gewesen. Die Stadt sollte in den nächsten Jahrzehnten ein bis dahin in Europa einmaliges Bevölkerungswachstum erfahren.
1829 wurde die erste Schiffsschraube im Golf von Triest getestet, 1861 die erste Panzerfregatte gebaut, 1866 mit einem legendären Rammstoß das italienische Flaggschiff »Re d’Italia« versenkt und im gleichen Jahr der erste Torpedo erprobt, den der Engländer Robert Whitehead erfunden hatte, der, nicht allzu weit entfernt, am »Stabilmento Técnico« in Pola tätig war. Das Wiener Kriegsministerium hatte es allerdings versäumt, beim Erwerb der Waffe dem Engländer zu verbieten, seine Erfindung auch an andere Staaten zu verkaufen. Schließlich hatte der Hafen von Venedig endgültig seine Führungsrolle in der Adria an Triest verloren. »Und all dies unter der Ägide eines Bergvolkes«, hätte Laurenti am liebsten gesagt, sich aber zurückgehalten. Kopfersberg hätte es wahrscheinlich nicht witzig gefunden.
Der Sohn des Urahns, Joseph Franz von Kopfersberg, eröffnete ein Handelshaus in Triest, die »Südhandel Aktiengesellschaft«, in die schließlich Joseph Albert von
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